Öffentlich-rechtlich – ein Relikt?

Öffentlich-rechtlich – ein Relikt?

Heinz M. Fischer & Natanja C. Pascottini,

Die Medienenquete der österreichischen Bundesregierung steht vor der Tür. Ein (Haupt-)Thema wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk sein. Für Heinz M. Fischer, Leiter unseres Instituts Journalismus und Public Relations, ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk, trotz Problemen, eine Säule der Demokratie.

Es gibt von meiner Seite ein klares Bekenntnis zur öffentlich-rechtlichen Idee. Diese Idee darf uns in Österreich sowie in ganz Europa nicht abhandenkommen. Die Schweiz hat ein ganz deutliches Zeichen gesetzt, indem sie sich gegen eine Auflösung entschieden hat. Es gibt aber auch alarmierende Entwicklungen, Beispiel Dänemark: Dort wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk in seinen Etats extrem beschnitten.

Ein europäisches Land ohne öffentlich-rechtlichen Rundfunk kann nur eine Hypothese sein. Wir brauchen öffentlich-rechtliche Institutionen: Denn die Nachrichtenauswahl ist eine komplett andere als bei privaten Medienanstalten. Man muss bei privaten Sendern den Mainstream, die große Öffentlichkeit, den Markt bedienen – es steckt eine andere Idee dahinter. Bei öffentlich-rechtlichen Sendern meine ich, immer wieder Nachrichten und Themen zu entdecken, die tatsächlich anderswo gar nicht vorkommen. Es geht nicht allein um die einzelne Info, es geht immer mehr auch um Themen, die nicht quotentauglich und mainstreamtauglich sind, aber dennoch immer vorkommen.

Je stärker wir uns fragmentieren, desto mehr muss es etwas geben, wie den Versuch, Allgemeinheit durch öffentliche Kommunikation zu erreichen. Das wird ganz schwer – Stichworte: Blase, Echokammer – diese Effekte werden sich weiter verstärken. Die öffentliche Kommunikation wird nie vollends gelingen – das ist eine Utopie. Dennoch brauchen wir weiterhin die Ansätze. Und die sehe ich noch am ehesten über öffentlich-rechtliche Anstalten verwirklicht.

Nach wie vor ist die Orientierungsfunktion eine Hauptfunktion. Dabei muss ich mich darauf verlassen können, dass diese profund und hochprofessionell passiert. Unabhängig und objektiv – so wie Journalismus sein soll. In Zeiten des Ungeordneten, des Chaos im Informations- und Kommunikationsbereich, ist es gut, etwas zu haben, an das man sich halten kann.

Wichtig ist die Überprüfung der Tragfähigkeit von Informationen. Sind die Themen, die tagtäglich auf uns zukommen, konstruiert oder inszeniert? Gibt es so etwas wie Realität überhaupt noch? Quellenkritik ist für die einzelnen Bürgerinnen und Bürger mittlerweile nur schwer auszuüben. Dafür brauchen wir journalistische Profis. Deshalb sehe ich die prophezeite große Gefahr für den Journalismus nicht. Ich sehe eine höhere Wertigkeit: Zwar wird es nur mehr wenige Journalistinnen und Journalisten geben, aber umso wichtiger ist ihre professionelle Ausbildung.

In Zeiten der Entwertung von Information muss der Auftrag an öffentlich-rechtliche Medienanstalten neu definiert werden. Das Phänomen „Fake News“ wird wieder abebben, aber es wird etwas Neues kommen. Das wird anders heißen, aber die Idee wird die gleiche sein. Was wir momentan im Sprach- und Textbereich haben, werden wir auf der visuellen Ebene erfahren: Wir werden Bilder und Videos sehen und nicht mehr unterscheiden können, ob sie wahr oder falsch, tatsächlich so passiert oder künstlich erschaffen, echt oder inszeniert sind. Mächtige Bilder kommen auf uns zu, von denen sich die Öffentlichkeit beeindrucken lässt, den Inhalt für wahr befindet und im Endeffekt wird sich herausstellen: so ist oder war es nicht.

Die eigentliche Krise besteht darin, dass viele Österreicherinnen und Österreicher die GIS-Gebühr nicht aus Überzeugung für Qualität zahlen, sondern, weil sie zahlen müssen. Man sieht die oben genannten, demokratiefördernden Hauptfunktionen der öffentlich-rechtlichen Medienanstalten nicht. Die öffentlich-rechtlichen Medien können sich in ihren Aktivitäten viel zu wenig entfalten, sie sind eingeengt – vor allem die Aktivitätsfelder im Web. Derzeit ist der ORF eingezwängt in einem Korsett, vor allem, was digitale Angebote anlangt. Dabei wäre eine gut kuratierte TVthek die ganzheitliche Erfüllung des Bildungsauftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Podcasts und Videos aus allen Kanälen – all das könnte man abdecken. Die Popularität von Radio mag zurückgehen, aber nur als lineares Medium – ebenso wie beim Fernsehen. Es wird sehr viel gesehen und gehört, nur nicht bei Erstausstrahlung. Die Mediennutzung generell ist in allen Bereichen im Ansteigen. Und da muss man die öffentlich-rechtlichen Medien quasi von ihren Fesseln befreien –darum müsste sich die Politik kümmern, anstatt sich mit parteipolitischen Zugeständnissen zu befassen.

Auch das Gebührenmodell als solches ist wahrscheinlich nicht zukunftsfit. Wenn man jedoch die Gebühren komplett abschafft, wird man abhängig vom Budget der Regierung.

Es tut sich etwas im Medien- und Kommunikationsbereich. Und man spürt, dass man sich auf vieles nicht mehr verlassen kann. Ich werde deshalb von Tag zu Tag ein noch glühender Verfechter, dass wir öffentlich-rechtliche Medien brauchen, ebenso aber den freien Markt. Ob der freie Markt so frei sein muss wie jetzt, ganz ohne Regulation und ohne Steuerungsmöglichkeiten, das sei dahingestellt. Die Selbstauflagen der freien Medienhäuser sind Inszenierung – das ganze Konstrukt ist auf Gewinnmaximierung aus.

Ich glaube nicht, dass es schon ein fertiges Konzept gibt, wie es seitens der Regierung mit öffentlich-rechtlichen Medien weitergeht. Der ORF wollte der Medienenquete zuvorkommen und hat ein Manifest veröffentlicht – eine Bestandsaufnahme der aktuellen Medienkultur, Teile davon werden bestimmt in den nächsten Semestern zur Pflichtliteratur des Studiengangs „Journalismus und Public Relations (PR)“ gehören.

Hinweis:

Das öffentlich-rechtliche Manifest des ORF umfasst, neben dem Text von Heinz M. Fischer, Beiträge von Expertinnen und Experten des Oxford Internet Institute, der Universität Eichstätt, der Universität Freiburg, der Universität Antwerpen und weiteren hochkarätigen Institutionen.

Das Institut Journalismus und Public Relations der FH JOANNEUM befasst sich mit der Medienlandschaft und innovativen Kommunikationsmaßnahmen. Einer der Schwerpunkte: berufsbegleitende, postgraduale Masterlehrgänge, die es so österreichweit nur in Graz gibt:

Sie bieten Berufstätigen die Möglichkeit, sich parallel zum Job mit Themen am Puls der Zeit auseinanderzusetzen und schließen mit einem Mastertitel ab.

Tipp:

Bei seinem Vortrag an der FH JOANNEUM hat Falter-Chefredakteur Florian Klenk die aktuellen Themen Fake News und Korruption in Österreich behandelt. Das Video dazu gibt es hier.