Kinderschutz! Nie zu früh, doch oft zu spät

Tagung zur Notwendigkeit bindungsbasierter Frühinterventionen

 
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Kinder zu schützen, ist unsere gemeinsame gesellschaftliche und fachliche Verantwortung und es gilt, alles daran zu setzen, Eltern und Kinder frühzeitig zu unterstützen.

Die FH JOANNEUM, Institut Soziale Arbeit, und das Institut für Persönlichkeits-, Unternehmens- und Teamentwicklung sowie der Verein mamamia e.V. widmen sich in einem Fachnachmittag diesem Thema und dürfen Martha Farrell Erickson (Entwicklerin von STEEP; Prof. em. am Center of Early Education and Development, University of Minnesota, U.S.A.) in Graz begrüßen.

Eine sichere Bindung ist der beste Schutzfaktor für Kinder und unterstreicht die Notwendigkeit bindungsbasierter Frühinterventionen für gelingenden Kinderschutz in der frühen Kindheit.

Immer wieder werden Kinder Opfer von häuslicher Gewalt, bzw. häuslichen Tragödien, weil Eltern überfordert sind. Häufig sind diese Eltern bildungsfern aufgewachsen und vielfach von staatlichen Zuwendungen abhängig und ihren Kindern droht dasselbe Schicksal. Gerade die Eltern, die als Kinder wenig Liebe, Zuwendung und Förderung erfahren haben oder sogar aus der Familie genommen wurden, haben einen übergroßen Wunsch, es selbst als Eltern besser zu machen. Sie sind oft hoch motiviert und scheitern dann im Übergang zur Elternschaft. Ihre hohe Motivation versickert oft, da niemand in ihrem Umfeld unterstützend eingreifen kann. Es fehlt das positive Eltern-Beispiel, bzw. die passende Hilfe, die immer rechtzeitig und in geeigneter Form erfolgen müsste.“ (Gerhard Suess, 2022)

Martha Farrell Erickson (Entwicklerin von STEEPTM; Prof. em. am Center of Early Education and Development, University of Minnesota, U.S.A.), Gerhard Suess (Prof. Dr. phil. habil.; Psychologischer Psychotherapeut) sowie Christina Hirschmann (Erziehungswissenschafterin; STEEPTM-Beraterin) geben Einblicke in die Erkenntnisse der Bindungsforschung, wie bindungsbasierte Frühintervention aussehen kann und welchen Beitrag diese zu einem gelingenden Kinderschutz in der frühen Kindheit leisten kann.

Den Anfang spannender Inputs macht die Grazerin Christina Hirschmann. Sie ist Erziehungswissenschafterin und beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit dem Thema Bindung. Seit 2007 ist sie in der stationären und ambulanten Kinder- und Jugendhilfe der Steiermark tätig. Als zertifizierte STEEP-Beraterin ist es Christina Hirschmann ein großes Anliegen, für die Themen „Bindung/Feinfühligkeit – Frühe Interventionen – Kinderschutz in der frühen Kindheit“ ein verstärktes Bewusstsein zu schaffen. So ist sie nicht nur in der Praxis, sondern auch in der Fortbildung von Fachkräften aktiv.

Frau Hirschmann führt zu unserem Thema ein und betont die Wichtigkeit einer stabilen Bindung zu einer Beszugsperson des betreffenden Kindes und Feinfühligkeit für die Bedürfnisse der Kleinsten. Hier setzt die Soziale Arbeit aktuell leider oft noch zu spät an. So gilt es bindungsbasierte Interventionen möglichst früh zu setzen und die Feinfühligkeit der Bezugspersonen zu stärken.

Den zweiten Beitrag liefert uns Gerhard Suess von Mammamia e.V. aus Hamburg. Nach 16 Jahren leitender Tätigkeit in der Erziehungsberatung war Gerhard Suess seit 2003 bis vor Kurzem Professor für Entwicklungspsychologie und Klinische Psychologie an der HAW Hamburg. Als wissenschaftlicher Assistent von Prof. Dr. Grossmann (1983 – 1987) an der Universität Regensburg sowie von Prof. Dr. Sroufe (1982-1983) an der University of Minnesota war er aktiv an 3 Längsschnittstudien zur Bindungsentwicklung und Entwicklungspsychopathologie beteiligt. Die Übersetzung der daraus gewonnenen Erkenntnisse in die Praxis bilden seit jeher einen Schwerpunkt seines beruflichen Wirkens. 2000 hat er das STEEP-Interventionsprogramm zur Unterstützung von jungen hoch belasteten Müttern aus den USA nach Deutschland gebracht und sich um dessen Verbreitung gekümmert. Er ist Mitglied des “International Advisory Board” der Zeitschrift “Attachment and Human Development”, im wissenschaftlichen Beirat (Gründungsmitglied 2006) des Nationalen Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) sowie im Stiftungsbeirat der Ehlerding-Stiftung.

Hr. Suess spricht über die Folgen von Kindesmisshandlung und Vernachlässigung. Hierzu hat er gemeinsam mit Martha Erickson intensive Studien im Kindergarten durchgeführt. In seinem Vortrag berichtet er von spannenden Ergebnissen und typischen Phänomenen von negativer Attribuierung und Zuschreibungen, welche auch Fachkräfte in ihrem Alltag oft wahrnehmen können. Bindungsbasierte Interventionen können hier gut einhacken und bereits verstörtes Bindungsverhalten von Kindern wieder in gesicherte Bahnen lenken. (Hinweise zu weiterführender Literatur finden Sie in den Folien zum Vortrag unten bei den Downloads)

Nach der Pause hatten wir die Ehre Martha Farrell Erickson zu einem sehr spannenden und berührenden Vortrag begrüßen zu dürfen. Martha Erickson ist auf die Verknüpfung von Forschung, Praxis und Politik in den Bereichen Eltern-Kind-Bindung, Prävention von Kindesmissbrauch und psychische Gesundheit von Kindern spezialisiert. Zu den Höhepunkten von Martha Ericksons Karriere gehören die Leitung der überparteilichen familienpolitischen Initiative Family Re- Union von Vizepräsident Al Gore in den 1990er Jahren und die Mitleitung einer Schulungsinitiative für Kinderrechte in Tansania (Ostafrika) von 2008 bis 2011. Seit 1986 entwickelen und evaluieren Martha Erickson und ihr Kollege Byron Egeland STEEP™ (Steps Toward Effective, Enjoyable Parenting), ein präventives Interventionsprogramm für Eltern und Babys mit Risiko von Entwicklungsproblemen. STEEP und seine Kernstrategie "Seeing Is Believing", ein Videoansatz zur Verbesserung der elterlichen Sensibilität und des Verständnisses, werden an vielen Standorten in den USA und im Ausland, darunter in Deutschland, Österreich und seit kurzem auch in Irland, umgesetzt. Zu Martha Ericksons Veröffentlichungen gehören zahlreiche wissenschaftliche Werke. Sie wurde von zahlreichen staatlichen, nationalen und internationalen Organisationen für ihre wissenschaftliche Arbeit und ihre Verdienste geehrt.

In ihrem Vortrag (Folien unten in den Downloads) spricht Martha über die Ergebnisse der großen STEEP Studie und erzählt aus Ihren Erfahrungen in der Arbeit mit hochbelasteten Familien. STEEP setzt bereits in der Schwangerschaft an und zielt darauf ab, die Wahrnehmung und das Verständnis der Bezugsperson in Bezug auf die Bedürfnisse des Babys zu stärken. So soll die Feinfühligkeit gestärkt und eine sichere Bindung ermöglicht werden. Verschiedene Techniken wie das "Message Buffet", Videoanalyse oder Briefe an die Eltern aus Perspektive des Babys werden hier eingesetzt. Eine wichtige Mesage aus dem Vortrag ist es, auch in Zeiten der Überforderung jedenfalls für das Kind da zu sein und dem Baby zu zeigen, dass es nicht alleine ist.

Den Abschluss bildete ein Podiumsgespräch mit den Referent:innen und Kolleg:innen aus Bildung und Praxis. So setze sich das Podium aus Gerhard Suess, Monika Meier (FH JOANNEUM), Monika Altenreiter (FH JOANNEUM), Martha Farrell Erickson, Christina Hirschmann (INPUT) und Martin Ofner (BH Leibnitz) (v.l.n.r. auf den folgenden Bildern) zusammen.