Kurzmitteilung

MASSIV weiterdenken!

Materialgespräche

 
MASSIV weiterdenken! 3

Im Rahmen des Symposiums MASSIV weiterdenken! am 5. und 6. Dezember 2019 im Forum Stadtpark wurde – ausgehend von der Idee der monolithischen Bauweise – als möglicher Lösungsweg für eine nachhaltige neue und ressourcenschonende Materialproduktion und Materialeinsatz eine breit angelegte Diskussion geführt, die weit über den technischen Aspekt bis hin zur gesellschaftspolitischen Fragestellung reichte.

Bereits das vielschichtige Rahmenprogramm des Symposiums, zu dem Claudia Gerhäusser vom Forum Stadtpark und Tim Wakonig-Lüking (Lehrender am Studiengang „Architektur") luden, signalisierte den Wunsch nach einem offenen Diskurs im Spannungsfeld von Material, Kultur und Produktion.

Für Arno Richter von der Technischen Universität Berlin, Institut für Bauingenieurwesen, Entwerfen und Konstruieren/Massivbau, ist es gar nicht so leicht, ein Material über alle Schichten und Anforderungen eines Gebäudes zu ziehen. Und auch der Sandwichaufbau wird aufgrund der steigenden Anforderungen mittlerweile beachtlich dick. Daher ist man in der Forschung im Bereich der Materialentwicklung unter Berücksichtigung ökologischer Zielvorgaben auf der Suche nach Material- und Ressourceneffizienz. Zum Beispiel könnte Carbonbewehrung gegen das Korrussionsproblem helfen, Betonmengen einsparen und damit CO2 reduzieren. Allerdings sind das langwierige, teure Prozesse, von der Entwicklung über die Zulassung bis zur Marktreife. Viele innovative Ansätze kommen gar nicht so weit – es stellt sich also auch immer die Frage, was will / kann man sich leisten?

Welche Konstruktionsweise man einsetzt, ist auch der persönlichen Entwicklung und dem permanenten Lernprozess geschuldet, meinte Nicole Lam, Lam Architektur Studio Graz, die natürlich auch zeitlichen Moden und gesellschaftspolitischen Zwängen unterliegt. So hat sich z.B. das „grüne Bauen“ für sie lange Zeit auf das Niedrigenergie- bzw. Passivhaus beschränkt, womit sie sich früher nicht auseinandergesetzt hat. Während das lt. Lam noch immer zu elitäre Thema des „nachhaltigen Bauens“ – aktuell in der gelebten (auch Grazer) Baurealität noch nicht angekommen – bereits bei Materialproduktion, Verpackung und Transport ansetzt und den Einsatz des Materials bis hin zur Wiederverwertung bei Demontage berücksichtigt. „Es liegt in unserer Verantwortung, auch die Produktionsprozesse und die Zusammensetzung von Materialien zu kennen“, so Lam, „um sich der Thematik der Industriesteuerung stellen zu können.“

Mitunter ein Grund, warum sich Andrea Kessler von „materialnomaden“ Wien vom klassischen Architekturdasein abgewendet hat und sich seit fünf Jahren in einem interdisziplinären Kollektiv von Architekten, Bauingenieuren, Bauforschern, Designern und Restauratoren dem re:use, dem upcycling bzw. der Transformation von Materialien aus Abbruchhäusern, widmet. Die Wiederverwertung, das Abbauen Schicht für Schicht, um Materialien recyceln oder neuen Nutzungen zuführen zu können, ist ein komplexes Thema, das zukünftig bereits in der Planung zu berücksichtigen sein wird. Daher ist es derzeit laut Kessler besonders wichtig, dass Europa eine Vorreiterrolle einnimmt und wir als Pioniere Tätigkeiten finden und Pilotprojekte entwickeln, denn „wir können nicht auf die Politik warten!“

Fürs Querdenken, Vernetztdenken, experimentelles Forschen und eine Fortschrittsdiskussion plädierte Tobias Kestel von White Elephant DesignLab Graz und forderte Ehrlichkeit bei Konstruktion und Produkt-Industrie-Design mit Rückbesinnung und Wertschätzung der handwerklich qualitativeren Produktion ein. Denn es ist eine Systemfrage, die ein gesellschaftliches Umdenken braucht und von einem kooperativen Miteinander geprägt sein sollte. Beginnen muss man mit der Vermittlungstätigkeit unter der Prämisse „learning by doing“ an Schulen, aber auch in der akademischen Lehre.

Till Böttger von der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) Hildesheim, Institut Bauen und Erhalten, befindet vor allem die Vermittlung und Aufklärung der Bauherrnschaft für notwendig, die größtenteils keine einschlägige Ausbildung haben, um zeitnah die geforderte Energiewende noch zu schaffen. Die größte Herausforderung ist die Auseinandersetzung mit, wieviel Raum wir wirklich benötigen, die Berechtigung von Neubauten und der Umgang mit dem Bestand. Grundsätzlich werden unterschiedliche Herangehensweisen in Koexistenz zueinander erforderlich sein, um das Ziel zu erreichen. Unsere Schnelllebigkeit und der dahinterstehende verkürzte Lebenszyklus der Bauwerke erfordert auf jeden Fall Gebäude mit flexiblerer Nutzbarkeit. Und es braucht eine höhere Akzeptanz, um generell den Bauanteil im Bestand zu erhöhen. Dazu ist auch für die Nutzer die Chance auf Anpassbarkeit, individuelle Gestaltung und die frühzeitige partizipative Einbindung in den Bauprozess notwendig.

Text: Arch. DI Petra Kickenweitz

Arch. DI Petra Kickenweitz ist seit August 2019 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut Architektur & Management.

Tipp:

Einen ausführlichen Bericht zur Veranstaltung finden Sie hier.