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Wöchentlicher Börsenbrief #106

Dr. Josef Obergantschnig, 18. Juli 2025
Wöchentlicher Börsenbrief von Josef Obergantschnig 1

Im wöchentlichen Börsenbrief von Josef Obergantschnig, Fachhochschullektor an der FH JOANNEUM und Gründer von ecobono, gibt es das Börsengeschehen pünktlich zum Start in das Wochenende aus erfrischend neuen Blickwinkeln.

Zoll dich glücklich und ein vermeintlicher “Blödmann” an der Zinsschraube

In Zeiten von Donald Trump lese ich beim morgendlichen Espresso nicht mehr nur die Kleine Zeitung oder blättere durch die neuesten Schlagzeilen von e-fundresearch, Bloomberg und Reuters. Nein, das Bild hat sich verändert – Twitter liefert heute den direkten Draht zu einem der mächtigsten Männer der Welt.

Und wieder genügte diese Woche ein einziger Trump-Tweet, um Dollar, Gold und Anleihen im Takt tanzen zu lassen. Wer braucht da noch Netflix, wenn Trump und Jerome Powell ihre eigenen Live-Serien aufführen? Der Vorwurf des „Zinsversagens“ und die angeblich überteuerten Renovierungen des Fed-Hauptquartiers wirken beinahe wie ein politisches Bühnenstück. Ob er damit tatsächlich das Büro von Fed-Präsident Jerome Powell meint, bleibt unbeantwortet. Aber eines ist gewiss: Kein Gebäude dieser Welt kostet so viel wie das lockere Finanzgebaren mancher Politiker der letzten Jahre.

Kaum hatte der liebe Donald – ganz der Showman – wieder einmal laut über eine Ablöse von Fed-Chef Jerome Powell nachgedacht, spielten die Märkte verrückt: Der Dollar schwächelte, Gold glänzte, Anleihenpreise zogen an. Ein klassischer Fall politischer Volatilität. Man könnte fast meinen, der Wahlkampf findet mittlerweile im Sitzungssaal der Notenbank statt. Und obwohl Trump am Ende zurückruderte („höchst unwahrscheinlich“), bleibt ein schaler Beigeschmack – vor allem für all jene, die künftig „Niedrigzinsleute only“ an der Fed-Spitze sehen wollen. Für mich steht fest: Powell hat Nerven wie Drahtseile – ich zolle ihm Respekt. Der gute Mann bleibt standhaft, selbst wenn der Gegenwind von allen Seiten bläst. Vielleicht hat er sich da von Dieter Kalt inspirieren lassen: Im Eishockey wie am Kapitalmarkt gilt – einen kühlen Kopf bewahren, auch wenn der Puck mal schmerzhaft trifft.

Doch als wäre das nicht schon genug Drama, zündet Trump auch gleich noch die nächste Stufe: 30 % Zölle auf EU-Waren ab 1. August – ein Frontalangriff auf Europas Exportmodell. Die EU hält (noch) dagegen, aber Gegenzölle im Wert von 72 Mrd. € stehen bereits bereit. Das Hin und Her erinnert an ein Eishockey-Match im letzten Drittel: Jeder weiß, der nächste Treffer kann das Spiel entscheiden. Klar ist: Diese Zollspirale wird uns noch eine Weile begleiten – die goldenen Zeiten der schrankenlosen Globalisierung sind vorerst vorbei. Und die EZB? Die schaut im Juli erstmal zu – zu viel Unsicherheit kann auch eine Notenbank ausbremsen. Zinssenkung? Vielleicht später – erst einmal abwarten, wie sich Zölle und Wachstum entwickeln.

Was aber passiert jenseits der großen Politbühne? Apropos abwarten: Wer dieser Tage auf Frankreichs Anleihen blickt, reibt sich die Augen. 30-jährige Staatsanleihen notieren bei 4,25 %, satte 100 Basispunkte über deutschen Papieren, die allerdings auch anziehen. Mehr Unsicherheit, mehr Defizit, mehr Risiko – und plötzlich zahlt man für alte Sünden. Der Zahltag nach Jahren der Null- und Negativzinsen rückt näher. Wer in guten Zeiten nicht spart, den trifft die Rechnung im Hochsommer doppelt. Für Deutschland heißt das: Sommerflaute im Export, Konsumkater im Einzelhandel und wenig Hoffnung auf ein Wachstumswunder im zweiten Quartal.

Aber bevor jetzt alle Trübsal blasen – und sich, liebe Leserinnen und Leser, fragen, warum ich im Hochsommer von Eishockey spreche: Diese Woche durfte ich mit Hockey-Legende Dieter Kalt plaudern – und siehe da, Zinseszinseffekt und Mindset sind die wahren Stars auf jedem Erfolgsweg, egal ob Börse oder Sport. Talent ist gut, Kontinuität ist besser. Rückschläge gehören dazu – entscheidend ist, wie man damit umgeht. Das gilt – wie so oft – für jeden von uns.

Ob an der Börse, in der Politik oder im Sport: Nicht abheben im Erfolg, nicht verzweifeln im Misserfolg. Oder wie Dieter so schön sagt: „Zieh dein Ding in allen Phasen durch, dann kommt der Erfolg von ganz allein.“ Hoffentlich nimmt sich auch der liebe Jerome daran ein Beispiel – und wenn das nicht hilft, hilft vielleicht ein doppelter Espresso. Für mich als Börsianer ist es hingegen sonnenklar: Ein doppelter Espresso hilft immer – besonders dann, wenn die Politik wieder einmal die Märkte tanzen lässt.

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