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Wöchentlicher Börsenbrief #82

ibv@fh-joanneum.at
Wöchentlicher Börsenbrief von Josef Obergantschnig 1

Im wöchentlichen Börsenbrief von Josef Obergantschnig, Fachhochschullektor an der FH JOANNEUM und Gründer von ecobono, gibt es das Börsengeschehen pünktlich zum Start in das Wochenende aus erfrischend neuen Blickwinkeln.

DeepSeek, Notenbanken und der Winterspeck

Diese Woche steht im Zeichen der Notenbanken und DeepSeek. Mein Espresso haucht mir Tag für Tag neue Energie ein. Fed-Präsident Jerome Powell verzichtet jedoch auf einen Energieschub für die US-Wirtschaft und legt eine Pause ein. Der mächtige Notenbank-Präsident hat gesprochen, aber so richtig viel gesagt hat er nicht. Die Fed hält den Leitzins einstimmig bei 4,25 bis 4,5 Prozent, signalisiert aber, dass sie sich nicht hetzen lässt, und hat bereits angekündigt, auch im März keine Zinssenkung anzustreben, da keine Eile geboten ist. Die Inflation sei noch nicht auf dem gewünschten Niveau, der Arbeitsmarkt stabil und die Arbeitslosenrate nach wie vor niedrig. Insofern ist es nicht wirklich überraschend, dass die Fed eine abwartende Haltung einnimmt.

Diese Vorgehensweise schmeckt dem neuen US-Präsidenten aber anscheinend gar nicht. Donald Trump nutzt das Zinsthema, um gegen die Notenbank zu schießen. Seiner Einschätzung nach habe die Fed mit der Zinspolitik erst die Inflation in die Höhe getrieben. Nun liege es an ihm, den verursachten Schaden wieder zu beheben. Es scheint, dass der Fed in den nächsten Jahren ein rauerer Wind aus dem Weißen Haus entgegenweht. Und eines ist für mich klar: Enge Freunde werden der liebe Donald und der liebe Jerome wohl nicht mehr.

Kommen wir nach Europa und zur Europäischen Zentralbank. Einen Tag nach dem Zinsentscheid der Fed richtet sich der Fokus auf EZB-Präsidentin Christine Lagarde. Im Gegensatz zur US-Notenbank hat die EZB die Leitzinsen erneut um 0,25 % gesenkt, um der nicht aus dem Krisenmodus kommenden Konjunktur im Euroraum unterstützend unter die Arme zu greifen. Auch wenn der Inflationsdruck in der Eurozone wieder etwas zugenommen hat, scheint die Zeit der hohen Inflationsraten vorbei zu sein. Ein stotternder Konjunkturmotor sowie drohende US-Zölle und ein potenzieller Handelskonflikt mit den USA trüben das Stimmungsbild. Seit der Zinswende im Juni 2024 hat die EZB mittlerweile bereits zum fünften Mal in Folge die Zinsen gesenkt. An den Börsen ist man sich weitestgehend einig, dass Christine Lagarde im Gegensatz zu Jerome Powell weitere Zinssenkungen verkünden wird.

Kommen wir nun zu den Kapitalmärkten. Das KI-Start-up DeepSeek hat bei Technologieunternehmen kurzzeitig einen Kursrutsch ausgelöst. Nvidia, der KI-Börsenliebling schlechthin, erlebte mit einem Kursrutsch von 17 Prozent den größten Marktkapitalverlust für eine einzelne Aktie aller Zeiten. An einem einzelnen Tag hat Nvidia 589 Milliarden US-Dollar an Börsenwert verloren – das ist mehr als die jährliche Wirtschaftsleistung Österreichs. Der Nasdaq 100 verlor an einem Tag 3 Prozent, der Chip-Sektor insgesamt fiel so stark wie zuletzt 2020. Die Dynamik an den Märkten nimmt zweifelsohne zu. Acht der zehn größten Tagesverluste in der Börsengeschichte entfallen auf Nvidia – und das in den letzten drei Jahren! Acht davon allein seit 2024.

Aber was war genau der Auslöser dafür? DeepSeek hat mit vergleichsweise einfachen Mitteln eine leistungsfähige KI entwickelt – und das für nur 5,6 Millionen Dollar. Zum Vergleich: OpenAI und Co. pumpen Milliarden in ihre Modelle. Viele Investor:innen stellen sich nun die Frage, ob wir den Beginn eines Preisverfalls erleben und die hohen Gewinne der Vergangenheit Geschichte sind. Donald Trump sieht in DeepSeek einen “Weckruf” und kündigte in gewohnter Manier an, Importzölle auf Halbleiter und andere Tech-Produkte aus dem Ausland zu erhöhen. Ob das die heimischen Unternehmen schützt oder den globalen Handel weiter belastet, wird sich zeigen. Nvidia-Chef Jensen Huang bleibt jedenfalls gelassen – er lobte DeepSeek öffentlich für seine Innovationen.

Machen wir nun noch einen Schwenk von Technologieunternehmen zum Finanzsektor. In der Bankenwelt setzt sich der Konsolidierungsprozess fort. UBS, die 2023 in einer Notrettung Credit Suisse übernommen hatte, streicht weiter Stellen. In der Schweiz haben in den letzten Wochen hunderte Mitarbeiter:innen ihre Kündigung erhalten. Die Fusion ist noch lange nicht verdaut, und es dürfte nicht die letzte Runde von Entlassungen gewesen sein.

Die Unternehmen sind gut gerüstet. Der Ausblick für 2025 bleibt positiv. Viele Investoren halten an hohen Aktiengewichtungen fest. Spannend finde ich aber auch, dass viele Unternehmen hohe Cash-Reserven horten. Alleine die S&P-500-Unternehmen halten 31 % ihrer Vermögenswerte in liquiden Mitteln. Das sind historisch betrachtet hohe Quoten, die den Unternehmen vor allem in schwierigen Zeiten Sicherheit verschaffen. Während Investor:innen nach wie vor risikobereit sind, setzen Unternehmen bereits Winterspeck an. Divergenz ist das anscheinend neue Normal – und das betrifft sowohl Investoren als auch Unternehmen, aber auch die Notenbanken dies- und jenseits des Atlantiks. Meine Devise ist im Gegensatz dazu klar: Abwarten und Espresso trinken!

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