Forschung

Mädchenarmut – Die unsichtbaren Mädchen

 
Mädchenarmut - Die unsichtbaren Mädchen 2

Im Auftrag des Volkshilfe Steiermark Landesvereins haben sich Anna Riegler und Miriam Burkia-Stocker am Institut Soziale Arbeit der FH JOANNEUM mit der Frage auseinandergesetzt, ob es innerhalb der Kinderarmut auch eine konkrete Mädchenarmut gibt und wenn ja, wie Geschlechtergerechtigkeit bei der Verteilung von Hilfsgütern sichergestellt werden kann.

Im Projekt wurde, ausgehend von der Frage, warum Mädchen bei der Auszahlung von Spendengeldern weniger Zuwendungen erhalten als Burschen, folgenden zentralen Forschungsfragestellungen nachgegangen:

Wie werden Problemlagen und Bedürfnisse von armutsgefährdeten Mädchen in Forschung und Praxis wahrgenommen? Wie wird mit Mädchenarmut in der Praxis der Sozialen Arbeit umgegangen? Warum ist das so? Welche Ideen für Veränderungen lassen sich daraus für die Zukunft ableiten?

Auf Basis des umfangreichen Forschungsberichtes, werden die Ergebnisse hier kurz zusammengefasst vorgestellt.

Was sagt die bisherige Forschung zu Mädchen- und Frauenarmut?
  • Frauen leisten immer noch den Großteil der unbezahlten Haus- und Familienarbeit.
  • Mädchen und Frauen entscheiden sich aufgrund typischer Geschlechterrollen nach wie vor meist für typische „Frauenberufe“.
  • Frauen arbeiten aber auch unabhängig von ihren Qualifikationen häufiger im Niedriglohnsektor.
  • Alleinerzieherinnen sind besonders stark von Armut betroffen.
  • Frauen sind durch „Working Poor“-Karrieren stark von Altersarmut betroffen.
  • Mädchen übernehmen meist die typischen Geschlechterrollen ihrer Mütter. Sie haben dadurch geringere Karrierechancen.
  • Mädchen weisen während der Schulzeit zwar einen Vorteil gegenüber Burschen auf. Dieser Vorteil endet jedoch mit dem Schulaustritt.
  • Mädchen werden im Laufe der Schulzeit mehr für ihre Leseleistung gelobt, Burschen mehr für mathematisch-naturwissenschaftliche Leistungen.
  • Mädchen und Frauen mit Flucht- oder Migrationsbiografie sind besonders von Armut betroffen.
  • Armutsgefährdete Mädchen werden von Familien stärker dazu angehalten, die Familie durch Arbeitsleistung finanziell zu unterstützen.
  • Die Armutsrisiken und -folgen für Mädchen und Frauen werden in Armutsberichten und Statistiken wohlhabender Industrienationen kaum beachtet.
Was sagen Expertinnen aus der Praxis zum Thema Mädchenarmut?
  • Mädchen fallen erst auf, wenn „auffällige“ Brüder in den Fokus der Sozialarbeit geraten.
  • Mädchen aus armutsgefährdeten Familien müssen schon sehr früh Sorge-Arbeiten in Familien übernehmen.
  • Diese Care-Arbeit steht formalen Bildungsabschlüssen von Mädchen im Wege.
  • Von Armut betroffene Mädchen werden eher der Neuen Mittelschule als einem Gymnasium zugewiesen. Dies betrifft insbesondere Mädchen aus Familien mit Flucht- oder Migrationsbiografie.
  • Mädchen stellen durch typische Rollenzuschreibungen ihre Berufswünsche oft hinten an. Sie gehen oft in Niedriglohnbereiche.
  • Mädchen aus armutsgefährdeten Familien müssen die Schule oft frühzeitig verlassen, um die Familie finanziell zu unterstützen.
  • Mädchen aus armutsgefährdeten Familien versuchen der Armut auch dadurch zu entkommen, dass sie sehr jung Mutter werden.
  • Von Armut betroffene Mädchen und hier vor allem Mädchen mit Fluchtbiografie sind wenig mobil.
  • Armut wird immer noch als persönlicher Fehler angesehen.
  • Mädchen schämen sich, sie wollen nicht auffallen.
  • Mädchen, die in absoluter Armut auf der Straße leben, müssen besonders gefördert werden.
Warum kommt es zur Benachteiligung von Mädchen?

In der Genderforschung wird die Herstellung von Ungleichheit und Benachteiligung vorwiegend durch die Etablierung von typischen Geschlechterrollen begründet. Demnach wird Benachteiligung in der permanenten Wiederholung vorgegebener Geschlechterordnungen (re-)produziert (vgl. Judith Butler 1990/2019). Ungleichheit wird in der Soziologie unter anderem so erklärt: Benachteiligungen werden über das Eingebettet-Sein von Einzelnen und Gruppen in vorherrschende soziale Verhältnisse immer wieder von Neuem hergestellt. Aus diesen Verhältnissen kann sich jemand nur schwer befreien. Denn über Gewohnheiten und Geschmäcker entwickelt jemand eine bestimmte Wahrnehmungsbrille und bestimmte Handlungsvorlieben, die jemand das Bekannte immer wieder wiederholen lässt. Nur ein kollektives Interesse und Vorgehen, kann diese Strukturen verändern (vgl. Pierre Bourdieu 2009).

Wie kann das geändert werden?
  • Bedingungen schaffen, die es ermöglichen, dass Väter und Mütter gleichwertig Haushalts- und Sorgearbeit übernehmen und von Armut betroffene Mädchen von dieser Sorgearbeit entlastet werden.
  • Rechtliche sowie förderliche Rahmenbedingungen schaffen, die es ermöglichen, dass sexistische Strukturen aufgebrochen werden.
  • Mädchenarmut über Aktionen, Homepages, soziale Netzwerke, Folder sichtbar machen
  • Mädchenarmut proaktiv in Beratungsgesprächen ansprechen.
  • Schulungen zu sexistischer Benachteiligung und proaktiver Förderung von Mädchen in Schul-, Aus- und Weiterbildung anbieten.
  • Unterstützung durch Netzwerke aktivieren.
Tipp:

Mehr zum Thema Mädchenarmut im Volkshilfe-Podcast „Laut gegen Armut“ hier nachhören