Ein Journalist ruft im Vatikan an und erkundigt sich nach dem Zustand der katholischen Kirche. Darauf fragt der Vatikan-Sprecher, wo sich der Journalist befinde. „In Berlin“, antwortete dieser, worauf der Vatikan-Sprecher als Auskunft gibt: „Oh, eine schwierige Zeit durchläuft derzeit die Kirche in Deutschland.“ Der Journalist korrigiert das Missverständnis, wonach er aus einer gleichnamigen Stadt in Südafrika anrufe, worauf der Vatikan-Sprecher antwortet: „Oh, der Kirche geht‘s hervorragend!“
Will man verstehen, welche zentralen Fragen „die katholische Kirche“ drängen, hängt die Antwort – wie so oft – von der Perspektive ab. Während die Katholische Kirche in der südlichen Hemisphäre boomt, wo inzwischen fast drei Viertel aller Katholiken leben, weist sie in Europa sinkende Mitgliedszahlen, schrumpfende Budgets und kargen Priesternachwuchs auf. 1995 waren noch 81% von Österreichs Bevölkerung katholisch, 2015 nur noch 60%. Rund 55.000 Menschen verlassen jährlich Österreichs katholische Gemeinschaft. Die europäische Kirche wird, wie Papst Benedikt einst formulierte, zu einer kreativen Minderheit.
Kritische Geister meinen die Ursachen dafür zu kennen und werfen der Kirche vor, sie sei nicht mehr zeitgemäß, habe keine Antworten mehr auf „brennende Fragen“ der Menschen angesichts ihrer veränderten Lebenswirklichkeiten. Die brennenden Themen der Zeit seien die Akzeptanz von Geschiedenen und Homosexuellen, die Offenheit für Frauenpriestertum und Priester ohne Zölibat, aber auch in Moralfragen…
Als wäre Papst Franziskus der Mann der Stunde, da er selbst von der Kirche Wandel, Barmherzigkeit und Nähe zu den Armen fordert und den globalen Kapitalismus als Verursacher von krasser Ungleichheit und Elend in vielen Teilen der Welt kritisierte. Auch Sexualität, die „die erotische Dimension der Liebe“ anerkannte er in seinem Schreiben „Amoris Laetitia“ als „Geschenk Gottes…, das die Begegnung der Eheleute verschönert“. Und jüngst ließ Papst Franziskus mit seiner Überlegung aufhorchen, er wolle prüfen lassen, ob Frauen als Diakone dienen können.
Was die einen als dringend notwendige Weichenstellung zur Bewältigung eines kirchlichen Reformstaus halten, verurteilen konservative Betrachter, wie der Publizist Vittorio Messori im „Corriere della Sera“ am Weihnachtsabend vor zwei Jahren, Papst Franziskus‘ Weg der Öffnung als „Unberechenbarkeit“, weil dadurch „fortwährend die Ruhe des durchschnittlichen Katholiken gestört“ würde.
Wer aber sind die durchschnittlichen Katholiken? Nach einer Studie des dt. Demoskopie-Instituts Allensbach von 2014 werde die die Kirche in Deutschland immer weniger als Glaubensgemeinschaft denn als kulturelle Tradition wahrgenommen. So sei für 68 Prozent der Befragten der festliche Rahmen besonderer Lebensereignisse der Hauptgrund für ihre Mitgliedschaft, gefolgt von Familientradition und Gewohnheit. Katholizismus als kulturelle Event-Bewegung?
Dass eine radikale Anpassung der Kirche an veränderte Sehnsüchte und soziale Bedingungen, wie die Regenbogenfamilie, der Weisheit letzter Schluss sei, widerlegen Deutschlands Protestanten: Dort gibt es alles, wovon progressive Katholiken träumen, bei gleichem Schrumpfungstrend.
Die richtige Antwort liegt, wenig überraschend in Zeiten des Wandels, in einer gemeinsamen Suche. Denn wer radikal verändert, verliert jene, denen Altbewährtes Stabilität und Sicherheit gaben. Wer alles beim Alten belässt, wird selbst bald alt und allein sein.