Das Bedürfnis nach dem Haptischen
Erika Thümmel ist diplomierte Restauratorin und Lehrende am Studiengang „Ausstellungsdesign“. Foto: Daniela Jakob

Das Bedürfnis nach dem Haptischen

Bettina Gjecaj ,

Erika Thümmel ist eine österreichische Künstlerin, Ausstellungsgestalterin und Restauratorin und unterrichtet seit mittlerweile 19 Jahren an der FH JOANNEUM am Institut Design und Kommunikation unter anderem das Fach Szenografie. In ihrer Vita finden sich zahlreiche Publikationen im Spektrum von Socio-Design über Role Models bis hin zu einem Buch über Kunst und Kochen. Am 9. November erschien ihr neuestes Werk: „Die Sprache der Räume“ im Birkhäuser Verlag.

Ich halte gerade Ihr neuestes Werk „Die Sprache der Räume“ in der Hand – wie ist dieses umfangreiche und faszinierende Buch zustande gekommen?

Ich unterrichte jetzt seit 19 Jahren am Bachelorstudiengang „Informationsdesign“- vor 14 Jahren habe ich gemeinsam mit Karl Stocker den Masterstudiengang „Ausstellungsdesign“ entwickelt. In beiden Studienrichtungen habe ich Szenografie und Materialkunde unterrichtet und über die Jahre hat sich ein unheimlicher Fundus von Bildern und Informationen aufgebaut: Vor zirka zwei Jahren kam mir der Gedanke, dass es eigentlich schade wäre, wenn dieses ganze Wissen dann nicht mehr zugänglich ist und so wollte ich dann das Buch machen.

Was darf man unter dem Begriff Szenografie verstehen?

Inhaltlich geht es dabei um den realen 3D Raum und um Informationsaufbereitung beziehungsweise manchmal auch das Schaffen von suggestiven Räumen, die auch „sprechende“ Räume sind.

„Ein sogenannter sprechender Raum kann entstehen, wenn ich beispielsweise ein Zimmer in einem Palast so inszeniere, dass er eine Herrschaftssymbolik beinhaltet.“

Erika Thümmel
Wie haben Sie es bei dieser Dichte an Informationen geschafft, eine Struktur zu schaffen?

Es ist grundsätzlich eine chronologisch angelegte Struktur, aber es gibt immer wieder Einschübe, wo ich dann zusammenfassende Darstellungen gewagt habe, wie zum Beispiel die Frage danach, was es für Arten von Beleuchtung vor der Erfindung des elektrischen Stroms und der Glühbirne gegeben hat. Es gab ja nicht einmal Glas bis zur Romanik beziehungsweise Gotik, wie also hat man solche Inszenierungen belichtet? Oder wovon handelt die Geschichte der Vitrine? Diese Geschichte beginnt vielleicht bei der Hostienmonstranz, wo hinter einem Bergkristall die Oblate sichtbar gemacht wurde oder ein wertvoller Reliqienaufsatz, bis hin zur heutigen Glasvitrine und dergleichen.

Wie kamen Sie in Ihrer Recherche zu den Materialien?

Also ein Teil des Materials sind Fotos, die ich irgendwann einmal gemacht habe und die in meinem Fundus waren, teilweise sind das aber auch Bilder die aus Datenbanken, Archiven oder anderen Publikationen stammen, also bunt durcheinandergemischt.

Foto: Erika Thümmel
Louvre, Besucherinnen und Besucher vor dem Gemälde „Die Freiheit führt das Volk“ an von Eugene Delacroix, 1830.
Wird es das Buch auch online geben, mit der Möglichkeit sich zum Beispiel einzelne Teile herunterzuladen?

Also es war angedacht, dass es auch als E-Book erscheint, allerdings wollte der Verlag das dann nicht, weil sie lieber das Buch verkaufen möchten. Ich habe dann aber auch ab einem gewissen Punkt, auch durch die Problematik der Bildrechte erkannt, dass es mir lieber ist, wenn das Buch nur in gebundener Form erhältlich ist.

Was denken Sie, ist das gedruckte Werk insofern etwas Beschützenswertes, weil es am Aussterben ist oder wie sehen Sie das?

Ich denke es gibt, soweit ich da Einblick habe, ein absolutes Bedürfnis nach dem haptischen Buch, das man durchblättern kann, wo man ein paar Eselsohren reinmachen kann, wo man etwas anstreichen kann. Für andere Textformen wird alles nur mehr elektronisch sein. Aber ich glaube, dass das Buch durchaus Bestand haben wird. Dieses Buch hat 260 Seiten und wenn ich beginne, das jetzt als Skriptum auszudrucken, dann kostet es mehr als wenn ich gleich das Buch kaufe.

Das ist richtig! In diesem Buch ist also viel Ihrer Erfahrung als Ausstellungsgestalterin zu finden, oder?

Was mir wichtig war, es ist der Blick des Gestalters oder der Gestalterin da, es gibt viele Publikationen in dem Bereich und die meisten sind von Kulturwissenschafterinnen, das ist dann oft sehr theorielastig. Ich wollte den Blick des praktischen Gestalters sichtbar machen, der natürlich auch darum weiß, welche Materialien verwendet wurden und welche Technologien zur Verfügung standen. Viele gestalterische Entscheidungen sind nicht so wahnsinnig theoretisch behaftet, sondern entstehen mehr aus praktischen Gegebenheiten heraus.

Foto: Erika Thümmel
Barock: Illusionistisch Deckenmalerei im Zisterzienserstift Rein, Josef Adam Mölk um 1766.
Das heißt eigentlich ist dieses Buch ein „Must“ für Ausstellungsdesignerinnen und -designer, dieses geballte Know-how kennen zu lernen, oder?

Nachdem das Thema einen so weiten Bogen umspannt, handelt es sich bei meinem Buch um eine sehr knappe Zusammenfassung. Weil wenn ich daran denke, welche dicken Bücher es über einzelne Gestalter wie zum Beispiel Karl Friedrich Schinkel gibt, da handelt es sich bei mir um eine starke Verknappung, aber ich wollte es eben genauso komprimiert haben.

Wenn Sie über Räume schreiben, dann denke ich immer an Ausstellungsräume, was denken Sie, wir sind ja jetzt mitten in einer Pandemie, wie verändern sich da auch Räume?

Dieses Jahr ist wirklich sehr schwierig für Ausstellungsgestalterinnen und -gestalter, weil halt Großteils alles geschlossen ist, also ich hoffe die Zeit geht wieder vorbei. Ich glaube auch, man geht gerne an Orte, man erlebt gerne Ort, man fühlt sie, man riecht sie, man nimmt sie mit allen Sinnen wahr und das dient der Verortung von Wissen. Wenn man sich an gewisse Sachen erinnert zum Beispiel an ein Kunstwerk, so erinnert man sich oft an das Kunstwerk gemeinsam mit dem Ort des Erlebnisses. Ich glaube, dass das Verorten von Erinnerungen sehr wichtig ist und dazu dienen besondere Orte... ob das in einer Burg oder einem Palais ist, dann ist das kein alltäglicher Ort und das macht den Besuch zu einem besonderen Erlebnis, den viele Leute schon sehr zu schätzen wissen. Es gab den großen Boom, alles muss elektronisch sein und das wird natürlich selbstverständlich integriert, gar keine Frage, aber das ist nicht im Zentrum. Im Zentrum ist das reale Erleben und das „echte“ Sehen.

„Das ist etwas ganz anderes, wenn ich ein Gemälde tatsächlich sehe, mit seinem Rahmen, seinem Gewicht, seinem Format, als wenn ich eine Abbildung habe, die eigentlich keinen Maßstab hat.“

Erika Thümmel
Wo kann man Ihr neues Buch erwerben?

Das Buch ist im Birkhäuser Verlag erschienen und kann dann ganz normal im Buchhandel gekauft werden.

Gibt es für Sie eine Lieblingszeit, einen Lieblingsbeitrag in dem Buch?

Mit der Lieblingszeit, das ist interessant, in jungen Jahren gab es so Kunstepochen die ich besonders interessant gefunden und geschätzt habe. Desto älter ich geworden bin, desto mehr habe ich alle Epochen in mein Herz geschlossen. Weil wenn man dann mehr weiß über die Zeit, dann wird das wie eine enge Vertraute, dann sieht man auch die spezifischen Qualitäten jeder Zeit.

„Das Mittelalter fand ich super und Barock empfand ich als blöden Kitsch.“

Erika Thümmel
Womit endet Ihr Buch?

Ich habe schon versucht mit aktuellen Tendenzen zu enden, die natürlich völlig offen sind, aber was halt jetzt gerade so für Versuche gemacht werden, eben der USP von Ausstellungen, warum ich glaube, dass sie Bestand bleiben und was sich da im Diskurs abspielt.

Vielen Dank für das Interview.