Der Weg von der Praxis zur Theorie 2
Nach dem Bachelorstudium „Fahrzeugtechnik / Automotive Engineering“ absolvierte Andreas Zwölfer seinen Master am Imperial College in London. Foto: Andreas Zwölfer

Der Weg von der Praxis zur Theorie

Mag. Werner Schandor,

FH-Studien verknüpfen Theorie und Praxis und qualifizieren die Absolventinnen und Absolventen für anspruchsvolle Tätigkeiten in ihrem Berufsfeld. Aber ein FH-Studium kann auch die Tür zu einer akademischen Karriere aufstoßen, wie Dr. Andreas Zwölfer beweist: Der gelernte Kfz-Mechaniker aus Ybbs an der Donau studierte im zweiten Bildungsweg „Fahrzeugtechnik“ an der FH JOANNEUM in Graz. Nach einem Masterstudium in London und dem Doktorat in Innsbruck hat er seit Mai 2020 eine unbefristete Stelle an der TU München inne, wo er an seiner Habilitation arbeitet. – Und „Schuld“ daran ist, dass er als Kfz-Mechanikermeister quasi zu jung war.

„Ich habe mit 22 Jahren den Meister für Kfz-Mechanik gemacht und habe in Niederösterreich eine Anstellung gesucht. Aber alle Werkstätten, wo ich mich beworben habe, meinten, ich wäre zu jung. Da habe ich mich umgeschaut, was ich sonst in diesem Berufsfeld machen könnte und bin auf den Studiengang ‚Fahrzeugtechnik‘ in Graz gekommen“, erzählt Zwölfer.

Den Weasels und einer Schnuppervorlesung sei Dank

Beim Open House an der FH JOANNEUM haben ihn das Racingteam der Weasels und die Schnuppervorlesung von FH-Prof. Herwig Grogger überzeugt. Andreas Zwölfer hat die Berufsmatura nachgeholt und das Studium in Graz begonnen. In der Folge waren es die FH-Professoren Herwig Grogger, Domagoj Rubeša und Günter Bischof, die mit ihren Lehrveranstaltungen den Wissensdurst im jungen Mann weckten. Letzterer – Günter Bischof – erkannte und förderte die herausragende mathematische Begabung von Andreas Zwölfer, der „Fahrzeugtechnik“ mit Bestnoten absolvierte. In seiner Bachelorarbeit untersuchte Zwölfer den Einfluss von Gyrostaten auf die Fahrdynamik mithilfe von Simulationsmethoden. Die Arbeit wurde mit einem Preis der Fahrzeugindustrie ausgezeichnet.

Vom Meister zum Master

„Ich habe den Zugang zur Mathematik erst an der FH JOANNEUM gefunden“, erzählt der Doktor-Ingenieur im Online-Interview. „In handwerklichen Berufen und auch bei der Vorbereitung zur Berufsreifeprüfung lernt man eher eine Form des Fachrechnens kennen, die mit der Mathematik an einer Hochschule wenig zu tun hat.“ Im Fach Ingenieurmathematik an der FH JOANNEUM ist Zwölfer auf den Geschmack gekommen. Und noch während er an der Bachelor-Arbeit in Graz schrieb, bewarb er sich um einen Master-Studienplatz im Fach „Advanced Mechanical Engineering“ am renommierten Imperial College in London, um die Kenntnisse zu vertiefen.
In nur einem Jahr – drei Trimestern – erwarb er dort den Master-Titel mit einer Studie über die Optimierung des nicht-linearen dynamischen Verhaltens von Schraubverbindungen, wie sie bei Flugzeugtriebwerken eingesetzt werden. Wieder stand die mathematische Modellierung mechanischer Systeme im Zentrum der Arbeit, wieder absolvierte Zwölfer das Studium in kürzest möglicher Zeit – diesmal auch aus Kostengründen: „In London habe ich fast 1.000 Pfund pro Monat für eine 19 Quadratmeter große Wohnung bezahlt. Da will man sich nicht länger als nötig aufhalten.“

Vom Master zum Doktor der Technik

2017 ging es zurück nach Österreich. Am Institut für Mechatronik der Universität Innsbruck trat Zwölfer eine Stelle als Universitätsassistent an und vertiefte sich in die Simulation flexibler Mehrkörpersysteme. Gemeinsam mit seinem Doktorvater Univ.-Prof. Johannes Gerstmayr – „eine absolute Koryphäe auf diesem Gebiet“ – veröffentlichte er mehrere Aufsätze über Formulierungen für die dynamische Simulation von Systemen aus flexiblen Körpern. „Das ist für mich die Königsdisziplin der computergestützten Mechanik. Damit lässt sich mehr oder weniger jedes System simulieren“, schwärmt Zwölfer. Seit 2020 hat er den Grad „Dr. techn.“ in seinem Pass eingetragen, seit 2017 gibt er sein Wissen selbst in Vorlesungen weiter.

„Can do“-Einstellung als Erfolgsfaktor

Was rät der Mann, der als Erster in seiner Familie ein Studium absolvierte, jungen Menschen, die vor der Wahl eines Studiums oder einer Berufsausbildung stehen? „Es muss jeder selbst seine Leidenschaft finden und sollte sie dann zielstrebig verfolgen“, sagt Zwölfer. „Es sollte sich aber auch niemand gezwungen sehen, ein Studium aufzunehmen, wenn es nicht das Richtige für einen ist. Es nützt nichts, die Stufen einer Leiter zu erklimmen, wenn die Leiter an der falschen Wand steht.“

Und eine persönliche Frage: Was hat der gelernte Kfz-Meister von seinen Lehr- und Arbeitsjahren in die akademische Welt mitgenommen? Hat er davon profitiert? Andreas Zwölfer: „In einer Lehre oder allgemein im ‚On the Job‘-Training lernt man unter anderem Eigenverantwortung, Bescheidenheit, Kontinuität, Proaktivität und eine ‚Can do‘-Einstellung. Das sind essentielle Eigenschaften für ein erfolgreiches Leben, die bei Studierenden ohne Berufserfahrung oft schlechter entwickelt sind.“ – Insofern ist der Weg von der Praxis in die Theorie für Zwölfer der bessere. Außerdem falle es mit dem praktischen Know-how im Hintergrund oft leichter, das akademische „Know-why“ wirklich zu durchdringen.

Ambitionierte Ziele

Mit seinen hervorragenden akademischen Referenzen und einer Reihe von Veröffentlichungen im Lebenslauf trat der Hochbegabte im Herbst 2020 am Lehrstuhl für Angewandte Mechanik der Technischen Universität München eine unbefristete Stelle an, die ihm sämtliche akademische Freiheiten gewährt. Das nächste Ziel ist die höchste der universitären Weihen, die Habilitation. Dabei hat der passionierte Sportler wieder ein ambitioniertes Forschungsthema vor Augen: Ihn interessiert die Entwicklung von Simulationsmethoden zur Analyse von Bewegungsabläufen im menschlichen Körper. – Komplexer geht’s eigentlich nicht mehr.

Tipp:

Die nächste Bewerbungsfrist für das Bachelorstudium „Fahrzeugtechnik / Automotive Engineering“ ist am 16. August 2021.