Industrie 4.0 als Chance

Industrie 4.0 als Chance

Clemens Fischer,

Digitalisierung und Industrie 4.0 sind in der Lehre und Forschung am Institut Industrial Management in Kapfenberg Schwerpunktthemen. Wir blicken auf industrielle Revolutionen zurück, zeigen, was sich heute auch bei uns an der FH JOANNEUM tut, und wagen einen Blick in die Zukunft.

In der Vergangenheit hat die Industrie durch technische Neuerungen bisher schon drei Mal große Veränderungen („Revolutionen“) erfahren. Kurzgefasst: In der ersten industriellen Revolution wurde mittels Dampfkraft schwere Arbeit erleichtert und beschleunigt, in der zweiten Revolution wurden mittels Elektrizität einerseits der Dampfbetrieb ersetzt und anderseits die Nacht erhellt. In der dritten Revolution wurde durch die Unterstützung von Automatisierung die Produktion optimiert. Jetzt erleben wir die vierte industrielle Revolution, in der die Arbeitsschritte zum Großteil digitalisiert werden und der Mensch Ressourcen frei hat, um sich anderwärtig produktiv zu betätigen. Bei jeder Revolution sind klassische Berufe verschwunden und neue Berufe entstanden. Im Rückblick ist aus diesen Entwicklungen heraus ein noch nie dagewesener Beschäftigungsgrad entstanden, welcher in der Industrie 4.0 noch weiter zunehmen wird.

Die neuesten Entwicklungen in der Kommunikationstechnologie und industriellen Technik haben ein Niveau erreicht, an dem die Verknüpfung von Menschen, Materialien und Maschinen über das Internet für (fast) alle leistbar und möglich wird. Unternehmen können dadurch günstiger, auf individuelle Kundenwünsche fokussierter und mit neuen, digitalisierten Geschäftsmodellen ihre Leistungen erbringen. Digitalisierung stärkt mit diesen drei Vorteilen den Standort Österreich/Europa: effizienter, also günstiger, produzieren, kundenindividuellere Produkte zu Kosten einer Massenfertigung und neue, digitale Geschäftsmöglichkeiten. Kritische Stimmen betonen die menschlichen Aspekte: hier stehen sich Argumente wie Entlastung für Schwerarbeit in Industrie und Pflege sowie Arbeitsplatzreduzierung gegenüber. Sicher ist: der Mensch bleibt der wesentliche Schlüssel für eine erfolgreiche Digitalisierung unserer Unternehmen.

Smart Production Lab

Direkt am Standort Kapfenberg wurde 2013 ein Industrie 4.0 Labor für Forschung und Lehre eingerichtet. Dieses wird bis November 2017 zu einer öffentlich zugänglichen Lehr- und Forschungsfabrik – dem Smart Production Lab Kapfenberg – ausgebaut. Die 500 Quadratmeter große Fabrikhalle wir von der Stadtgemeinde Kapfenberg um eine Million Euro adaptiert und mit Industrie 4.0-Technologie im Wert von fast einer Million Euro von der FH JOANNEUM und Kooperationspartnern ausgestattet.

Das Konzept der Lehr- und Forschungsfabrik basiert auf der angewandten Forschung und Entwicklung am Institut Industrial Management. Hier fließen Erfahrungen von über 20 Jahren vertikaler Integration (ERP-Systeme) und über zehn Jahren horizontaler Integration (Supply Chain Management) mit ein. Der aktive Input zahlreicher Kooperationspartner wie voestalpine, Böhler Edelstahl, SAP, FESTO, NTS, Pankl, AVL oder Hoerbiger macht die Fabrik praxistauglich.

In der Vorbereitung für das neue Labor werden die Kompetenzen des Studiengangs in verschiedenen Richtungen erweitert und kontinuierlich an die neuen Anforderungen angepasst. Die Hauptforschungspunkte des Smart Production Lab werden in vier Bereiche gegliedert:

  • Die vertikale Integration mit der Dezentralisierung von Systemen und ergänzt um eine Supply-Chain-Integration, in der die gesamte Lieferkette vom Lieferanten bis zum Kunden virtuell abgebildet und komplett vernetzt funktioniert.
  • Die partielle oder gesamtheitliche Optimierung von technologischen Fragestellungen wie beispielsweise der Echtzeit-Entscheidungsfähigkeit oder der Produktionsoptimierung.
  • Der Faktor Mensch und damit Fragen zu Kompetenz-Entwicklungen und –Notwendigkeiten sowie den daraus resultierenden Stellenprofilen der Zukunft. Aber auch die notwendige „Runderneuerung“ der Ausbildungsstandards – Stichwort „Digitales Lernen“.
  • Die Erarbeitung der optimalen Change-Prozesse für Industrie 4.0 – Stichwort „I4.0-Roadmap“. Im Smart Production Lab können Unternehmen, Schulen und auch interessierte Privatpersonen Digitalisierung erleben. In einem eigenen Setup für ein FabLab (Fabrication Laboratory) kann die Infrastruktur sogar öffentlich genutzt werden. Für Unternehmen werden spezielle Roadmap-Workshops und Augmented-Reality gestützte Weiterbildungsprogramme entwickelt, um sie bei der Digitalisierung im eigenen Unternehmen zu unterstützen.

Das Ziel ist klar: die Qualifizierung unserer Wirtschaftsingenieurinnen und -ingenieure für zukünftige Anforderungen im Kontext der vierten industriellen Revolution und die Sicherung von Wettbewerbsvorteilen durch Digitalisierung für die Steiermark / Industrieregion Obersteiermark. Die Steigerung des öffentlichen Bewusstseins über die Industrie 4.0 wird einen Impuls zur Stärkung der Lebensgrundlagen in dezentralen Regionen leisten.

Industrie 4.0 als Studieninhalt

Aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Industrie ist es besonders wichtig, in der Aus- und Weiterbildung auf zukünftige Anforderungen der Praxis einzugehen und bereits heute die Ausbildung so zu gestalten, wie es die Jobs der Zukunft erfordern. Das Institut Industrial Management der FH JOANNEUM hat daher „Industrie 4.0“ entsprechend in die Lehre integriert:

Im Bachelor-Studium „Industriewirtschaft / Industrial Management“ werden die Bereiche Beschaffung, Produktion und Vertrieb im Kontext der Digitalisierung von technischer Seite beleuchtet. Dabei wird besonderes Augenmerk auf den Einsatz von IT-Systemen gelegt. Zwei Fremdsprachen helfen, sich auf die Anforderungen einer internationalen Wirtschaft und Industrie einzustellen und für zukünftige globale Herausforderungen anschlussfähig zu sein.

Im neu gestalteten Master-Studium „International Industrial Management“ haben die Studierenden ab dem Wintersemester 2017 die Möglichkeit, sich in zwei Vertiefungsrichtungen zu spezialisieren. Zu dem bisherigen Schwerpunkt „Supply Chain Engineering“ mit den Themen Optimierung der Wertschöpfungskette, technischer Einkauf und technischer Vertrieb, können sich die Studierenden in der zweiten Vertiefung „Smart Production & Services“ mit Themen von der Digitalisierung der Produktion bis hin zu Big Data & Data Analysis oder Smart Manufacturing & Simulation beschäftigen.

Die Entwicklungs- und Karrierechancen der über 1.000 Absolventinnen und Absolventen waren bisher schon überdurchschnittlich, jetzt sollte die verstärkte Zukunftsorientierung des Studiums die Chancen noch signifikant steigern.