Leise Stimmen hört man nicht – Rhetoriktraining für Studierende in Uganda als Demokratie- und Konflikttraining 4
(© FH JOANNEUM / Harald Friedl)

Leise Stimmen hört man nicht – Rhetoriktraining für Studierende in Uganda als Demokratie- und Konflikttraining

Verena Rathkolb,

Harald Friedl, Lehrender am Institut Gesundheit- und Tourismusmanagement der FH JOANNEUM Bad Gleichenberg, reiste nach Uganda, um Tourismusethik an der Nkumba University in Entebbe zu unterrichten. Im Endeffekt kam aber alles ein wenig anders.

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Für seine zweiwöchige Lehrtätigkeit hatte Philosoph und Jurist Harald Friedl umfassende Grundlagen der Ethik und des Konfliktmanagements vorbereitet. Nach zwölf Theoriestunden, so der ausgefeilte Plan, sollten die Studierenden miteinander „ihre“ persönlichen Ziele und Projekte für „ihre Gemeinde“ ausdiskutieren und gemeinsam entscheiden. Den organisatorischen Rahmen dafür sollte die wohldurchdachte Simulation einer Gemeinderatssitzung liefern, wie sie bereits in vier Ländern erfolgreich realisiert und auch mehrfach preisgekrönt worden war. Jedoch scheiterte die Umsetzung an einigen grundlegenden Rahmenbedingungen.

Denn wurde eine Frage in die Runde der 29 Studierenden geworfen, folgte unweigerlich intensives … Schweigen. Erst mehrmalige Ermunterung ließ eine zaghaft erhobene Hand in die Höhe wandern, was jedoch erst das eigentliche Problem mit ugandischen Studierenden offenbarte: Kein Wort war zu hören. Die aufgerufene Person bewegte zwar sichtbar die Lippen, identifizierbare Laute waren jedoch nicht zu erhaschen. Daran änderte sich auch nichts, wenn der Lehrende näher an die Betreffenden herantrat. Die geflüsterten Antworten blieben unterhalb der akustischen Wahrnehmungsschwelle eines 50-jährigen Ohrs. Mehr an Volumen war jedoch aus den Studierenden – einige große, laute, junge Männer ausgenommen – nicht herauszuholen.

Historische Last

Das Land Uganda hatte bis in die 1990er-Jahre äußerst schwierige politische Zeiten zu bewältigen. Historisch legendär sind die blutigen Geschichten um den Tyrannen Idi Amin, dessen Nachfolger Obote ihm in Sachen Gewalt um nichts nachstand. Erst unter dem gewählten Präsidenten Yoweri Kaguta Museveni fand das tropische Land zu weitgehender sozialer Stabilität, jedoch für den Preis ausgeprägter Korruption und einer rein formalen Demokratie. Denn Museveni wurde 2016 zum sechsten Mal in seinem Amt bestätigt und blickt mittlerweile auf 35 Amtsjahre als Präsident zurück.

Diese de-facto-Diktatur hat Auswirkungen auf die gesellschaftliche Werteentwicklung eines Landes. Wo militärische Macht als Stärke zählt, haben Argumente und das gesprochene Wort einen schweren Stand. Dies gilt erst recht für Frauen in Uganda. Doch zeigt sich sogar in solchen westlichen Ländern, die sich formal zur „Gleichberechtigung“ der Geschlechter bekennen, dass der Aufstieg von Frauen in Machtpositionen ohne entsprechende Zielstrebigkeit und den Willen zum Kampf erfolglos bleibt. Denn ohne klar erkennbar kämpferisches Auftreten wird eine mögliche Anhängerschaft im Zweifel verharren, ob eine Kandidatin sich als Leader überhaupt durchsetzen könne. Dabei ist eines der wichtigsten Instrumente eine feste, klare und kräftige Stimme. Denn wessen Stimme ungehört bleibt, der erlangt keine Stimme.

Die Macht der Stimme

Leises Sprechen gilt somit als Ausdruck einer sozialen Prägung mit dem Ziel, möglichst wenig aufzufallen. Doch werden Studierende in einem armen Land wie Uganda als zukünftige Akademikerinnen beziehungsweise Akademiker zur geistigen Elite zählen. In dieser Rolle tragen Studierende nicht nur die Verantwortung, ihr Wissen nach Studienabschluss für das Wohl ihres Landes zu nutzen. Mindestens genauso wichtig ist auch die Bereitschaft zur aktiven Wahrnehmung dieser Verantwortung durch couragiertes, aktives Eintreten für alternative, möglichst nachhaltige Positionen: mit einer kräftigen, hörbaren Stimme.

So wurde Harald Friedl klar: Was also hilft die beste Ethiktheorie, wenn die teilnehmenden Studierenden sich vor Wortmeldungen fürchten? Daraufhin wurde das didaktische Konzept radikal modifiziert und auf Stimmtraining ausgerichtet: Zunächst übten die Studierenden im Chor einzelne Textpassagen, um diese immer lauter vorzutragen und bald mit kräftiger Stimme zu brüllen. Im nächsten Schritt folgten Einzeltrainings, mit hohen Wiederholungszahlen. Denn Wiederholungen führen zu Gewöhnung, was wiederum das Gefühl der Angst vor dem einstmals ungewohnten öffentlichen Auftritt zunehmend schwinden lässt.

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Als Höhepunkt wurden Studentinnen eingeladen, sich vor einem großen Kollegen aufzubauen und ihn mit folgenden Worten anzuschreien: „Du bist jetzt endlich still, hörst mir zu und lässt mich ausreden, ist das klar?“ Eine sehr klein gewachsene junge Dame, die sich wacker dieser Übung gestellt und ihre Botschaft fast schon „gebrüllt“ hatte, meinte auf die Frage nach ihrem Befinden anschließend: „Ich fühle mich so unglaublich frei und stark!“

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Nach diesem praktischen Stimmtraining konnte endlich der Diskussionsprozess gestartet werden. Besonders erfreulich dabei war die mehrheitliche Übernahme des Plenarvorsitzes durch Damen. Denn Leadership lernen kann man nur durch praktische Übung – je häufiger, desto besser.

Nach zwölf Stunden intensiver Streitgespräche, Koalitionsverhandlungen und Abstimmungen wurden die 29 Studierenden in einer abschließenden Feedbackrunde nach ihren Lerneffekten von dieser Lehrveranstaltung befragt. Die häufigste Antwort lautete: mehr Selbstsicherheit, mehr Mut zur Verteidigung der eigenen Meinung und die Erkenntnis, wie wichtig gute Argumente und eine laute Stimme seien.