Drei Personen in einer Lehrsituation vor mehreren Studierenden.
Lisa Moore, Roger Fienhold Sheen und Christopher Lee Ball suchten ein echtes Projekt um den Studierenden klaren zu machen, wie die Realität der Arbeit von Content-Strateginnen und -Strategen aussieht und was sie nach dem Abschluss des Studiums erwartet. Sie fanden dafür einen idealen Partner im Universalmuseum Joanneum.

Unter dem Mikroskop von Content-Strategie-Studierenden: die Website des Universalmuseum Joanneum

Lea Dvoršak,

Content Audits, Informationsarchitektur und User Research und Interaction Design sind die drei zentralen Lehrveranstaltungen im zweiten Semester unseres berufsbegleitenden Master-Studiengangs „Content-Strategie / Content Strategy“. In allen dreien steht die Nutzererfahrung, die User Experience, im Mittelpunkt. In diesem Jahr werden die drei Kurse zum ersten Mal durch ein gemeinsames Projekt verbunden. Seit dem Februar lösen Studierende des dritten Jahrgangs (Hashtag: #cos16) User Experience Probleme der Website des Universalmuseum Joanneum. Der Kopf hinter dieser Kooperation ist die Londoner Content-Strategin Lisa M. Moore. Lea Dvoršak, die am Studiengang als wissenschaftliche Mitarbeiterin arbeitet, hat Lisa gebeten, uns einen Einblick in das Projekt zu geben:

Du gehörst seit der ersten Präsenzwoche des Studiengangs in London im Jahr 2015 zum erweiterten COS-Team. Warum wolltest du bei diesem Grazer Studiengang dabei sein?

Lisa Moore: Ich arbeite jetzt schon so lange als Content-Strategin, dass ich die Jahre gar nicht mehr zählen mag. Ich denke mir schon seit längerer Zeit, dass unsere Disziplin akademische Strenge und Genauigkeit braucht. Ich war sehr angetan, als ich hörte, dass die FH JOANNEUM mit einem Content-Strategie-Master gestartet hat und fühlte mich geehrt, dass ich gefragt worden bin, ob ich Interesse an einem Lehrauftrag habe. In letzter Zeit sind ein paar andere Zertifizierungsprogramme für Content-Strateginnen und -Strategen auf den Markt gekommen, aber es gibt außer dem Studiengang an der FH JOANNEUM noch kein anderes Programm auf Master-Niveau. Für mich war es beruflich und akademisch sehr reizvoll - und befriedigend - ein Teil von dem zu sein, was da gerade in Graz passiert.

Die Studierenden lernen dich im ersten Semester in der Lehrveranstaltung Schreiben, Redigieren und Kuratieren im Web kennen und treffen dich dann im zweiten Semester wieder in dem Kurs zu Content Audits. Für dieses Jahr habt ihr ein Projekt geplant, das den Kurs über Content Audits mit den Veranstaltungen zu Nutzerforschung und Informationsarchitektur zusammenfasst. Was steckt hinter diesem eher holistischen Herangehen an diese Themen?

Als praktizierende Content-Strategin arbeite ich alltäglich eng mit Leuten aus den Bereichen UX Design und Informationsarchitektur zusammen. In meinem ersten Jahr als Lehrende an der FH JOANNEUM habe ich gemerkt, dass die drei Lehrveranstaltungen noch nicht wirklich aufeinander bezogen unterrichtet werden. Das widersprach meiner beruflichen Erfahrung und auch meinem theoretischen Verständnis dieser Disziplinen. Deshalb fragte ich Studiengangsleiter Heinz Wittenbrink, ob wir das didaktische Konzept für diese drei Lehrveranstaltungen überarbeiten und verbessern könnten.
Ich dachte, dass es für die Studierenden sehr hilfreich sein würde zu lernen, wie diese drei Aspekte der Customer Experience zusammen wirken, und deswegen schlug ich vor sie parallel und mit einem zentralen Projekt als gemeinsamer Achse zu unterrichten, statt in drei weitgehend voneinander getrennten Veranstaltungen.

Wie wurden die anderen Lehrbeauftragten einbezogen?

Ich kenne Christopher Lee Ball, Executive Creative Director & Head of User Experience at DigitasLBi in London, schon seit vielen Jahren und schätze ihn aufgrund seiner großen Sachkenntnis, aber auch als jemanden, der andere begeistern kann. Der Studiengang hatte bereits gute Beziehungen zu Chris, weil seit Jahren ein Kontakt zu Professor Konrad Baumann besteht. Also habe ich ihn einfach gefragt, ob er Lust hätte, sich als Lehrbeauftragter für die Veranstaltung über nutzerbezogenes Design zu bewerben.
Roger Fienhold Sheen, ein Informationsarchitekt mit Standort in Berlin, und ich haben uns zum ersten Mal beim ersten Content Strategy Forum in Paris im Jahr 2010 getroffen. Ich wusste, dass es sich bei Roger um einen ausgesprochen vielseitigen Informationsarchitekten handelt, der außerdem großes Interesse an den Beziehungen zwischen Informationsarchitektur und Content-Strategie hat; deshalb habe ich ihn angesprochen. Es war natürlich auch hilfreich, dass er sowohl Englisch als auch Deutsch völlig fließend spricht.
Zum Glück haben beide sofort zugestimmt. In vielen Gesprächen vor dem Start des Semesters haben wir genau abgesprochen, wie wir diese drei Veranstaltungen anlegen wollten. Grundidee war, mit dem Auditieren der Inhalte zu beginnen und mit den Erkenntnissen daraus einerseits die Informationarchitektur und andererseits die User Experience insgesamt anzugehen. Wir waren nur noch auf der Suche nach dem geeigneten Projekt dafür.

Wie seid ihr dann auf das Universalmuseum Joanneum als Partner-Institution für das Projekt gekommen?

Mein Ziel war, den Studierenden durch die Kombination der drei Lehrveranstaltungen klarer zu machen, wie die Realität der Arbeit von Content-Strateginnen und -Strategen aussieht und was sie nach dem Abschluss des Studiums erwartet. Schon in unseren ersten Gesprächen war Chris, Roger und mir klar, dass wir ein echtes Projekt brauchten, um zu zeigen, worin einerseits die Besonderheiten der drei involvierten Disziplinen bestehen und wie sie dann aber auch alle zusammen zu einem wirklich erfolgreichen UX Projekt beitragen. Wir waren uns auch alle drei einig, dass wir einen echten oder fiktiven Auftraggeber am Standort Graz brauchen, denn es war auch wichtig, dass die Studierenden in Kontakt mit der echten, analogen Wirklichkeit dieser Organisation kamen.
Ein Schlüsselaspekt beim Formulieren einer Content-Strategie wie der UX-Anforderungen besteht darin, sich mit tatsächlich Betroffenen zu treffen und sie zu befragen, um zu verstehen, was ihre Ziele und was auch ihre besonderen Probleme sind. Wir haben also nach etwas Lokalem gesucht, so dass wenigstens ein Teil der Studierenden die Möglichkeit hat, diese Interviews persönlich zu führen. Chris ist dann auf die Idee gekommen, dass sich die Studierenden mit einem Museum in Graz beschäftigen könnten. Das passte perfekt zu der Art von Arbeit, die sowohl Roger wie ich für unsere Kurse vorgesehen hatten. Außerdem war es vom Standort her für etwa die Hälfte der Studierenden am Studiengang gut geeignet, und so entschieden wir uns dafür.
Damals wussten wir nicht, dass eine Absolventin von COS14 – Anita Brunner-Irujo – inzwischen als Digital Media Manager am Universalmuseum Joanneum in Graz tätig ist. Heinz hat Anita mit unserem Vorschlag kontaktiert, und sie hat tatsächlich sofort zugesagt. Da sie den Studiengang von innen her kennt, hat sich dann schnell ein kontinuierlicher Arbeitskontakt ergeben und wir hatten ein echtes Projekt, bei dem wir keine Komponente erfinden mussten.

Wie seid ihr dann darauf gekommen, das Angebot des Museums für Schulen zum eigentlichen Test Projekt zu machen?

Die Website des Universalmuseum Joanneum ist riesig und es war von Anfang an klar, dass die Studierenden, in nicht einmal einem Semester, nicht die Zeit haben würden die Website als Ganze in einer sinnvollen Weise zu untersuchen. Sie ist dafür viel zu komplex. Als wir Anita zum ersten Mal bei einer Präsenzwoche trafen, wurde schnell klar, dass sie mit dem Informationsbereich für Schulen der Website vor Aufgaben stand, die man unabhängig von vielen anderen Fragestellungen angehen konnte. Sie erzählte uns von Problemen mit der Informationsarchitektur dieses Teils, aber auch mit den Inhalten insgesamt und einer ungenügenden Nutzererfahrung.
Die Probleme, die sie zu lösen hatte, passten perfekt zu den Lernergebnissen der drei Veranstaltungen, wie wir sie uns vorstellten. So konnten wir die Studierenden mit einer realistischen und zugleich interessanten Problemstellung konfrontieren, die aber auch eingeschränkt genug war, um sie im Laufe eines Semesters zu verfolgen. Ein weiterer Vorteil für die Studierenden ist, dass Empfehlungen und Prototypen herauskommen, die Anita dann tatsächlich den Verantwortlichen des Museums vorlegen kann.

Du bist auch intensiv an der Vorbereitung einer Präsenzwoche der Studierenden im Mai in London beteiligt. Was werden die Studierenden in dieser Woche unternehmen?

Zunächst einmal hören sie eine ganze Reihe von tollen Gastvortragenden und besichtigen einige Organisationen mit sehr gut aufgestellten Content-Teams, so wie Facebook und die Digital Services der britischen Regierung. Außerdem werden die Studierenden ihre UX Projektarbeit in London abschließen. Sie besuchen die letzten Vorlesungen des Kurses bei Chris, und können das Usability Labor von Digital LBI nutzen.
Außerdem werden die Studierenden die Ergebnisse ihres Projekts vor tatsächlichen Fachleuten mit einem internationalen Background präsentieren. Sie bekommen also ein unschätzbares Feedback. Wir hoffen, dass sie mit diesem Feedback ihren Präsentationen einen letzten Schliff geben werden, um sie dann Anita und Ihrem Team in Graz endgültig präsentieren zu können.

Lief bei der Vorbereitung der Projektwoche und vor allem der Präsentation des Projekts in London alles wie vorgesehen?

Naja, das ist ein gutes Beispiel für den flüssigen Charakter der Content-Strategie im Besonderen und des digitalen Designs im Allgemeinen. Wir hatten erst vorgesehen, die Usability-Tests mit Test-Personen aus London durchzuführen. Aber es wurde uns dann schnell klar, dass die Tests für Anita nur dann wirklich brauchbar sein würden, wenn wir mit echten Userinnen und Usern, also mit Lehrenden aus der Steiermark arbeiten würden. Nur die wissen genau, was sie für die Vorbereitung eines Museumsbesuchs brauchen.
Anstatt also mit Teilnehmern aus England zu arbeiten, planen wir nun über das Netz durchgeführte Userinnen und User-Tests mit Lehrenden aus Graz und Umgebung. Die Studierenden werden lernen wie man in einem echten Testlabor arbeitet aber sie werden zusätzlich auch mit Teilnehmern testen, die genau den Personas entsprechen, die im UX-Kurs erstellt wurden.

Werden die Projekt Ergebnisse vom Universalmuseum Joanneum benutzt werden, so dass sie tatsächlich öffentlich sichtbar werden?

Das hoffen wir jedenfalls. Wie ich schon sagte, werden die Studierenden ihre Arbeit zunächst in London präsentieren und sie dann Anita und Ihrem Team vorstellen. Es ist noch nicht entschieden wie Anita dann auf dieser Basis weiterarbeiten wird. Je nach den Ergebnissen kann sie zum Beispiel einfach einiges herauspicken, was für sie nützlich ist, oder sich für eine der verschiedenen Präsentationen entscheiden, die den Bedürfnissen des Museums am besten entspricht. Wir werden sehen, wie sie sich entscheiden wird.
So oder so gehen wir aber davon aus, dass einige der Ideen der Studierenden auch umgesetzt werden. Wir hoffen, dass die Studierenden bald auf einige Änderungen im Schulbereich der Museums-Website zeigen und sagen können: „Wir haben dazu beigetragen, dass das so umgesetzt wurde!“ Wer weiß? Vielleicht wird das Museum mit einem oder zwei der Studierenden weiterarbeiten. Aber ganz unabhängig davon, wie sich das Museum entscheidet: Wir sind ziemlich sicher, dass diese holistische Herangehensweise bei der Ausbildung der Studierenden sehr wichtig ist.

Wie lässt sich denn entscheiden, ob dieser holistische Zugang zu den drei Lehrveranstaltungen tatsächlich erfolgreich ist?

Wie bei allen Content-Strategie und digitalen Design-Projekten sind die Deliverables nur die Hälfte der Geschichte. Die andere Hälfte findet dann erst in der Zukunft statt, wenn der Echt-Test mit Nutzerinnen und Nutzern und den verschiedenen Verantwortlichen stattfindet. Wir müssen also abwarten, was die Studierenden abliefern und wie die Verantwortlichen reagieren. Und dann werden wir sehen, welche der Empfehlungen Anita und ihr Team tatsächlich voranbringen.
Und natürlich werden Chris, Roger und ich nach dem Semester unsere eigene Nutzerforschung durchführen. Wir werden die Studierenden um Feedback bitten und versuchen herauszubekommen, was funktioniert hat und was nicht. So wie die Content-Strategie selbst, wächst auch dieser Master-Studiengang und passt sich immer wieder den veränderten Bedingungen an. Wir werden also mit dem Feedback der Studierenden arbeiten und auf dieser Basis neu überlegen, wie wir unsere Lehre im kommenden Jahr gestalten.

Die Interviewpartnerin Lisa Moore im Porträt.
Als Content-Strategin in London, arbeitet Lisa Moore alltäglich eng mit Expertinnen und Experten aus den Bereichen User Experience und Informationsdesign zusammen. Mit diesem Projekt möchte sie den Studierenden zeigen, wie Content Auditing, UX und IA, als verschiedene Aspekte der Customer Experience zusammen wirken.