Wöchentlicher Börsenbrief von Josef Obergantschnig 1
(c) FH JOANNEUM / Marion Luttenberger

Wöchentlicher Börsenbrief #30

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Im wöchentlichen Börsenbrief von Josef Obergantschnig, Fachhochschullektor an der FH JOANNEUM und Gründer von ecobono, gibt es das Börsengeschehen pünktlich zum Start in das Wochenende aus erfrischend neuen Blickwinkeln.

Die Prognosefähigkeit und ein unterschätzter Konsument

Seit mehr als 25 Jahren „lebe“ ich die Börse. Das Stimmungspendel schlägt ständig zwischen „Himmelhoch jauchzend“ und „zu Tode betrübt“ hin und her. Das bunte Treiben an den Kapitalmärkten ist auch mit den Stimmungsschwankungen eines pubertierenden Teenagers zu vergleichen. In der Ruhe liegt die Kraft. Glauben Sie mir das, liebe Leserin/lieber Leser. Der Zauber der frühen Morgenstunden gepaart mit einem wohlriechenden Espresso kann wahre Wunder bewirken.

Wie ist es eigentlich um die aktuelle Stimmungslage an den Börsen bestellt? In einer aktuellen Fondsmanager:innen-Umfrage im November hat das Pendel klar in den positiven Bereich gedreht. Für 2024 prognostiziert die Mehrheit der Fondsmanager:innen ein wirtschaftliches Soft-Landing für die USA, sinkende Zinsen und einen etwas schwächeren US-Dollar. Spannend finde ich auch, das die Fondsmanager:innen mehrheitlich von weiteren Kurssteigerungen bei großen High-Tech-Aktien und Pharma-Aktien ausgehen. Für 2024 sehen Fondsmanager:innen die Geopolitik als das größte Risiko für die Finanzmärkte. Darüber hinaus zählen die Inflation und eine Rezession der Weltwirtschaft zu den größten Risikoherden. Die Top-Risiken werden in jeder der monatlich durchgeführten BofA Global Fund Manager Survey abgefragt. In der November-Umfrage wurde die Inflation als Top-Risiko von der Geopolitik abgelöst.

Diese Woche wurde ich im Rahmen einer Veranstaltung gefragt, was für mich das Börsenwort des Jahres 2023 wäre. Die Entscheidung ist mir heuer leichtgefallen. Es sind zwar streng genommen drei Wörter, aber für mich repräsentiert die Phrase „Higher for Longer“ das Börsenjahr 2023. Es symbolisiert die Erwartung der Marktteilnehmer:innen, dass die Zinsen über einen längeren Zeitraum hoch bleiben. Um die davongaloppierende Inflation wieder einzufangen, haben die Notenbanken rund um den Globus die Zinsen in atemberaubender Geschwindigkeit angehoben.

In den letzten Sitzungen haben sowohl Fed-Präsident Jerome Powell als auch EZB-Präsidentin Christine Lagarde angedeutet, dass wir uns schon am Ende des Zinsanhebungszyklus befinden. Die Erleichterung war sowohl am Börsenparkett als auch bei der/dem einen oder anderen Kreditnehmer:in spürbar. Als Börsianer deshalb, weil weitere steigende Zinsen Finanzierungen teuer machen und damit dem Wirtschaftskreislauf Geld entzogen wird. Die bisherigen Zinserwartungen haben ohnehin schon eine ordentliche Bremsspur hinterlassen. Im 3. Quartal ist die Wirtschaft der Eurozone heuer erstmals geschrumpft. In Österreich befinden wir uns schon in einer Rezession, da es bereits das zweite Quartal in Folge mit einem negativen Wirtschaftswachstum war. Hier ist die Divergenz zu der nach wie vor größten Volkswirtschaft USA unverkennbar. Zu Jahresbeginn war die Einschätzung noch etwas verhalten. Die Prognose von einer Wachstumsrate von knapp über Null konnte deutlich übertroffen werden.

Und für Kreditnehmer:innen bedeutet ein Ende des Zinserhöhungszyklus, dass künftige Finanzierungen oder aktuell variabel verzinste Kredite nicht noch teurer werden und damit die jeweiligen Budgets noch mehr belasten. Für 2024 wird bereits mit der einen oder anderen Zinssenkung gerechnet.

Für die Investor:innen sind die Rahmenbedingungen trotz der abnehmenden Wirtschaftsdynamik gar nicht so schlecht. Für US-Aktien wird für 2024 mit einem Gewinnwachstum von 10% gerechnet. Für weniger technologielastige europäische Unternehmen wird ein Gewinnwachstum von immerhin 5% prognostiziert. Und die Renditen und damit auch das Ertragspotenzial am Anleihenmarkt sind im Vergleich zu den letzten Jahren deutlich gestiegen. Für europäische Staatsanleihen bekommt man im Schnitt mehr als 3%, für US-Staatsanleihen knappe 5% und für US-High-Yield-Anleihen sogar rund 9%.

Zusammengefasst ist der Gesamtausblick auf 2024 eigentlich sehr positiv. Das Problem ist allerdings, dass es sich hier nur um Prognosen handelt. Im Laufe meines Lebens habe ich zwei wesentliche Dinge gelernt: Überschätze nie die Prognosefähigkeit einer Finanzexpertin oder eines Finanzexperten und unterschätze niemals den amerikanischen Konsumenten! Ich verspreche Ihnen aber, dass ich Ihnen nächstes Jahr genau erklären kann, warum die diesjährigen Prognosen nicht eingetroffen sind.