Wöchentlicher Börsenbrief von Josef Obergantschnig 1
(c) FH JOANNEUM / Marion Luttenberger

Wöchentlicher Börsenbrief #31

,

Im wöchentlichen Börsenbrief von Josef Obergantschnig, Fachhochschullektor an der FH JOANNEUM und Gründer von ecobono, gibt es das Börsengeschehen pünktlich zum Start in das Wochenende aus erfrischend neuen Blickwinkeln.

Jahresendrallye und Planungssicherheit

Diese Woche musste ich mir verwundert die Augen reiben. Nein, keine Sorge, mir sind meine Espresso-Bohnen nicht versehentlich ausgegangen. Der Grund war auch nicht die Börse, sondern die österreichische Fußballnationalmannschaft, die Deutschland in einem Freundschaftsspiel klar in die Schranken gewiesen hat. Für den leidgeprüften österreichischen Fußballfan ist das auch aufgrund der Dominanz und des Spielverlaufs irgendwie eine verkehrte Welt. Erleben wir jetzt eine Zeitenwende oder war es doch „nur“ ein Sieg Davids gegen Goliath? Als Investor habe ich gelernt, mich über Gewinne zu freuen. Ich habe aber auch lernen müssen, dass Erfolge kein Grund zum Abheben sind. Überheblichkeit und Selbstüberschätzung sind absolut unangebracht und müssen im Regelfall teuer bezahlt werden. Das gilt sowohl für die Börse als auch unsere Nationalmannschaft.

An den Aktienmärkten dominiert nach wie vor der liebe Goliath. Die großen Technologieunternehmen geben den Ton an. Laut einer aktuellen Umfrage unter Fondsmanager:innen gehen viele davon aus, dass dieser Trend auch 2024 weitergehen wird. Aktuell sind mit Apple ($3,0 Bio.), Microsoft ($2,8 Bio.), Saudi Arabian Oil ($2,1 Bio.), Alphabet (§1,7 Bio.), Amazon ($1,5 Bio.) und Nvidia ($1,2 Bio.) sechs Unternehmen mit mehr als einer Billion US-Dollar bewertet. Fünf davon haben einen starken Technologiefokus. Der große Gewinner des Jahres ist Nvidia. Der Börsenwert betrug zu Jahresbeginn „nur“ 350 Milliarden US-Dollar und ist seither um mehr als 200% gestiegen. Im Vergleich dazu liegt Nestle als wertvollstes Unternehmen der Schweiz mit einer Marktkapitalisierung von $300 Milliarden auf dem 28. Platz bzw. SAP mit $178 Milliarden als erster Vertreter Deutschlands auf Position 58. Um in die Top-100 einzuziehen, muss die Marktkapitalisierung $123 Milliarden übersteigen. Der österreichische Primus Erste Group wird an der Börse mit $17 Milliarden bewertet. Das bedeutet, der Börsenwert von Apple, dem teuersten Unternehmen der Welt, entspricht dem 176fachen Wert der Erste Group, dem 17fachen Wert von SAP und dem 10fachen Wert von Nestle.

Der November ist vielerorts trüb, regnerisch und neblig und sorgt zum Teil für eine depressive Stimmung. Für Aktionär:innen waren die letzten Wochen durchaus erfreulich. Der amerikanische S&P 500 hat im November mehr als 8% zulegen können. Das entspricht ungefähr der langfristigen Ertragserwartung vieler Finanzmarktstrateg:innen. Spannend finde ich auch, dass der November 2023 auch im historischen Kontext sehr gut abschneidet. In lediglich sechs Jahren seit 1928 konnten sich Investor:innen über eine bessere Monatsperformance an einem anderen Monat als November erfreuen. Ein paar Novembertage stehen ja noch vor der Tür und ich bin schon gespannt, ob die Euphorie weiterhin anhält. Das Jahresende ist historisch betrachtet kein schlechter Zeitpunkt, um in Aktien investiert zu sein. Ob das 2023 auch sein wird, kann ich trotz aller Bemühung aus meinem Kaffeesud nicht herauslesen.

Kommen wir noch zu den Anleihenmärkten. Zinsseitig haben wir in den letzten Monaten definitiv eine Zeitenwende erlebt. Im Gegensatz zu vergangenen Jahren gibt es wieder Zinsen! Gestiegene Kreditzinsen führen zu gestiegenen Finanzierungskosten. Und das wiederum betrifft sowohl Privatpersonen, Unternehmen aber letztendlich auch die Staaten. In Österreich hat der Kaufkraftverlust zu einer „milden“ Rezession geführt. Laut einer aktuellen Analyse der OeNB (Österreichische Nationalbank) ist die Kreditnachfrage deutlich eingebrochen. Nichtsdestotrotz haben Banken ihre Profitabilität weiter ausbauen und in Bezug auf die Kosteneffizienz weitere Fortschritte erzielen können. Im ersten Halbjahr 2023 konnte der Bankensektor einen Gewinn von €7,3 Milliarden und damit doppelt so viel wie im Vorjahresvergleichszeitraum ausweisen. Laut Einschätzung der OeNB steigt auch in diesem Umfeld die Nachfrage nach variabel verzinsten Krediten. Das wundert mich, da doch viele Kreditnehmer:innen in den letzten Monaten gemerkt haben, dass Zinsrisiken das Haushaltsbudget doch schwer belasten können. Eine Planungssicherheit in Bezug auf die monatlichen Raten ist nur mit einer Fixzinsvereinbarung darstellbar. Aktionär:innen müssen im Gegensatz dazu mit einer stärkeren Unsicherheit leben und werden dafür mit einer höheren Ertragserwartung „bezahlt“.