Wöchentlicher Börsenbrief von Josef Obergantschnig 1
(c) FH JOANNEUM / Marion Luttenberger

Wöchentlicher Börsenbrief #4

Dr. Josef Obergantschnig,

Im wöchentlichen Börsenbrief von Josef Obergantschnig, Fachhochschullektor an der FH JOANNEUM und Gründer von ecobono, gibt es das Börsengeschehen pünktlich zum Start in das Wochenende aus erfrischend neuen Blickwinkeln.

Der Banker im Nadelstreif und der zinszahlende Apfel

Im Frühjahr herrscht Aufbruchstimmung. Und es ist auch immer die Zeit der Prognosen und Neuausrichtung. Der IWF kommt mit seiner Wachstumsprognose und Analysten nutzen die sogenannte „Earning Season“, in der die Unternehmen ihre Quartalsergebnisse präsentieren, um ihre Prognosen anzupassen. Die Bank of America führt in regelmäßigen Abständen eine Umfrage unter Fondsmanagern mit dem Ziel durch, ein aktuelles Stimmungsbild einzufangen. Das ist ein spannendes Unterfangen. Fondsmanager:innen werden zum Beispiel befragt, ob sie aktuell Aktien übergewichten oder untergewichten. Im April 2023 sind die Fondsmanager:innen so vorsichtig positioniert wie seit März 2009 nicht mehr. Das muss aber nicht zwingend ein Verkaufssignal sein. Damals im März 2009 waren die Aktienmärkte nach der Lehman-Pleite auf dem absoluten Tiefpunkt und das wiederum war der Beginn einer außergewöhnlichen Aktienmarkt-Rallye. Ähnliches haben wir im Mai 2020 gesehen. Auch damals war die Unsicherheit nach dem ersten Corona-Lockdown sehr hoch. Doch auch das hat die Aktienkurse nicht davon abgehalten, in den Folgemonaten von einem Höchststand zum nächsten zu klettern. Blenden wir wieder ins Jahr 2023 zurück. Wir kämpfen nach wie vor mit einer hohen Inflation. Die Wachstumsprognosen werden sukzessive zurückgenommen. Und darüber hinaus scheinen die Notenbanker:innen sich nicht im Klaren darüber zu sein, ob man in diesem Spannungsfeld die Zinsen weiter anheben oder doch lieber senken sollte.

Niemand kann die Zukunft vorhersehen. Nicht einmal Fondsmanager:innen, die am Puls der Zeit sind und auf ihren Bildschirmen im Sekundentakt mit Informationen versorgt werden. Im Laufe meines Berufslebens habe ich aber gelernt, dass Emotionen die Handlungen wesentlich beeinflussen. Wenn die negativen Nachrichten und Problem überhandnehmen, sind wir Menschen tendenziell negativ gestimmt. Und es erfordert viel Selbstdisziplin und Durchhaltevermögen, um in diesem Umfeld auch einmal zuzugreifen und die Chancen zu nutzen.

Blenden wir nochmals zur „Earning Season“, die in dieser Woche so richtig an Fahrt aufgenommen hat. Weltweit haben bereits etwas mehr als 5% der Unternehmen ihre Quartalsgewinne offengelegt. Die Mehrheit der Unternehmen haben die Erwartungen übertroffen. Mit Spannung werden die Kennzahlen von den großen Tech-Giganten erwartet. Eines scheint aber auch klar. 2023 werden viele Unternehmen Rekord-Dividenden ausschütten. Das trifft vor allem auf europäische Unternehmen zu. Laut einer ersten Einschätzung erhöhen 27 der 40 DAX-Unternehmen ihre Dividende. Lediglich vier von den deutschen Börsenschwergewichten zahlen keine Gewinnausschüttung. In Summe können sich Aktionäre über rund 50 Milliarden Euro freuen. Im Krisenjahr 2022 haben die DAX-Konzerne die Ausschüttung im Vergleich zum Vorjahr, dem bisherigen Rekordjahr, um 9% übertroffen. Das ist für mich ein weiteres Indiz dafür, dass Aktien langfristig betrachtet einen guten Inflationsschutz bieten.

Kommen wir noch zum Anleihenmarkt. In den letzten Jahren sind sowohl die Zinsen aber auch die Schuldenlast deutlich angestiegen. Die Staaten der Welt sind laut IWF durchschnittlich mit 93% in Relation zum BIP verschuldet. Die britische NGO Debt Justice sieht vor allem Probleme für ärmere Länder mit hoher Auslandsverschuldung. Wenn es eng werden sollte, lohnt es sich vielleicht einmal bei Apple nachzufragen. Der Tech-Gigant bietet seinen Kreditkarten-Kund:innen jetzt auch ein Konto mit einer 4,15%igen Verzinsung an. Das führte zu größeren Mittelzuflüssen. Es hat irgendwie den Anschein, dass Apple immer gezielter daran arbeitet, ein veritables Bankgeschäft aufzubauen. Irgendwie drängt sich für mich die Frage auf, ob Apple eines Tages die Hausbank von heute ersetzen wird? Aus heutiger Sicht würde ich das als sehr unwahrscheinlich einstufen. Aber eines ist auch klar: Für den Banker im Nadelstreif ist es nicht die Zeit des Ausruhens. Es ist die Zeit des Ärmelaufkrempelns, um im Ansturm der Tech-Giganten nicht in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden.