Projekt

Wegen Corona allein zu Hause

Psychosoziale Folgen der Isolation während des Lockdowns auf Alleinlebende

 

Das vom Land Steiermark geförderten Forschungsprojekt untersucht die psychosozialen Auswirkungen der Covid-19 -Lockdowns auf Menschen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen.

Psychosoziale Folgen der Isolation während des Lockdowns auf Alleinlebende − Möglichkeiten und Grenzen des Ersatzes von Begegnungen durch den virtuellen Raum

Projektziele

In der Forschungsarbeit wird erfasst, wie sich der Lockdown auf alleinlebende Menschen unterschiedlichen Alters und aus unterschiedlichen sozialen Schichten ausgewirkt hat, welche Funktionen von Sozialkontakten durch virtuelle Kommunikation ersetzt werden können, aber auch welche Aspekte essenziell an die Kopräsenz an einem Ort gebunden sind. In diesem Zusammenhang werden auch die Bewältigungsstrategien erhoben, die von verschiedenen Personen entwickelt wurden, um mit dieser Ausnahmesituation umzugehen.

Ziel ist zu erfassen, ob und in welchem Ausmaß die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie, vor allem die Regelungen des Lockdowns, alleine lebende Menschen besonders getroffen haben. Im Sinne des Grundsatzes der Gleichberechtigung zielt das Projekt darauf ab, Empfehlungen zu entwickeln, welche die Bedürfnisse alleinlebender Personen in unterschiedlichen Lebenslagen bei der Gestaltung zukünftig notwendiger Maßnahmen der Prävention in der Pandemie berücksichtigen und wie auch Menschen, die unabhängig von der Pandemie sozial isoliert leben, besser unterstützt werden können.

Forschungsfragen
  • Forschungsfrage 1: Wie wirkte sich der Lockdown auf alleinlebende Menschen in der Steiermark aus?
  • Forschungsfrage 2: Welche Funktionen realer Sozialkontakte können in den virtuellen Raum verlagert werden?
  • Forschungsfrage 3: Welche Aspekte des sozialen Miteinanders sind essenziell an die physische Kopräsenz an einem Ort gebunden?
  • Forschungsfrage 4: Welche Aspekte des Digital Divide zeigten in der Situation des Corona Lockdowns? Und welche Personengruppen waren und sind besonders stark hinsichtlich ihrer digitalen Kompetenzen und hinsichtlich ihres Zugangs zu digitaler Infrastruktur benachteiligt?
  • Forschungsfrage 5: Wie können die Strategien, die als Ergebnis der Beantwortung der oben genannten Forschungsfragen entwickelt wurden, auf andere Personengruppen übertragen werden, die unabhängig von aktuellem pandemischem Geschehen sozialer Isolation ausgesetzt sind?

Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurden vom Projektteam unter der wissenschaftlichen Leitung von Johanna Muckenhuber qualitative Interviews mit alleinlebenden Personen, eine statistische Analyse der Daten des Austrian Corona Panel Projects der Universität Wien sowie qualitative Expert:inneninteviews mit Professionist:innen aus den Bereichen Bereich Medizin, Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie sowie Sozialer Arbeit durchgeführt.

Expert:innen wurden vor Projektabschluss wiederum einbezogen, um Stellungnahmen zu den wichtigsten Ergebnissen in Anlehnung an ein Delphi-Verfahren zu geben und Empfehlungen für Maßnahmen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen abgeben. Zusätzlich bearbeiten Studierende von Soziale Arbeit in der Umsetzung zweier Masterarbeiten zu dem Projektthema zusätzliche Aspekte des Forschungsprojekts.

Die Ergebnisse werden in wissenschaftlichen Publikationen und Vorträgen sowie in Informationsmaterial und Berichten an die Fachöffentlichkeit und an die Stakeholder weitergebeben.

Ergebnisse

Psychosoziale Effekte der Corona-Pandemie beziehungsweise der Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus auf alleinlebende Menschen beginnen im kleinen Maßstab bei einem gefühlten Fehlen von Kontakten zu anderen Menschen und erstrecken sich über Gefühle des Alleinseins und der Einsamkeit bis hin zu einer spürbaren Verschlechterung des psychisch- und physischen Zustandes.

Jugendliche und junge Erwachsene

Jugendliche und junge Erwachsene sind besonders stark von den Auswirkungen der Corona-Pandemie und den Maßnahmen zur Eindämmung des Virus betroffen. Ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich im Zeitverlauf der Pandemie stark. Im Vergleich der Altersgruppen änderten sich ihr Alltag und ihre Tagestruktur am stärksten durch die Krise. Der das Fehlen von Sozialkontakten hat vor allem seit Herbst 2020 und dem 2. und 3. Lockdown enorme Auswirkungen auf diese Gruppe, wie sich in allen Datenquellen des Forschungsprojekts zeigt.

Dies trifft in besonderem Ausmaß auf alleinlebende junge Menschen zu. Besonders Schüler:innen und Studierende verloren über lange Zeit jegliche direkten Kontakte und fühlten sich öfter einsam. Junge Menschen in Ausbildung oder im Berufsleben, die in ein neues Umfeld gezogen sind und dort weder ein soziales Netzwerk noch Familie haben, ging es ebenso. Der höhere Bedarf an Sozialkontakten in jungem Alter, das Fehlen von stabilen sozialen Netzwerken über die Familie hinaus und im Vergleich zu den anderen Altersgruppen fehlende Ressourcen durch Lebenserfahrung, die eine solche Krisensituation abfedern können, macht junge Menschen besonders betroffen. Auch Zahlen psychiatrischer Institutionen und Aussagen der Expert:innen aus Psychiatrie, Psychologie und Therapie belegen diese Ergebnisse.

Ältere Menschen

Ältere Menschen, die nicht mehr im Arbeitsleben stehen, waren von den Auswirkungen in unterschiedlichem Ausmaß betroffen. Eine große Gruppe spürte zwar den Rückgang an Sozialkontakten und den Möglichkeiten, soziale und kulturelle Ereignisse des alltäglichen Lebens wahrzunehmen, war jedoch nicht krisenhaft betroffen. Auch erfuhr der Alltag in diesem Altersbereich keine so deutliche Wendung seit Pandemiebeginn wie dies bei jüngeren Menschen der Fall ist. Einsamkeit war für viele ältere Menschen kein Thema, das Alleinsein oftmals etwas Gewohntes. Resilienz und die Relativierung der aktuellen Erfahrungen im Vergleich mit vergangenen Erfahrungen verringerten die Betroffenheit vieler Menschen dieser Gruppe.

Besonders die Gruppe hochaltriger Personen empfand zum Teil wenig Änderungen in ihrem täglichen Leben und war angesichts biografischer Erfahrungen aus Kriegs- und Nachkriegszeit der Pandemiesituation gegenüber sehr gefasst. Vermehrt wurde jedoch der Kontaktverzicht zur Familie, etwa zu den Enkelkindern, als einschneidend verspürt. Eine kleinere Gruppe der älteren Menschen leidet jedoch verstärkt unter der Pandemie, wobei in dieser Gruppe vor allem ältere Menschen in Heimen als auch Personen, die schon vor der Pandemie sehr einsam waren, vermutet werden.

Vulnerable Gruppen

Als vulnerable Gruppen von alleinlebenden Personen verstehen wir Menschen in finanziell-materiell prekären Situationen. Diese leiden besonders stark unter den wirtschaftlichen Folgen durch Jobverlust oder durch den Entgang kleiner Einkommensquellen. In psychosozialer Hinsicht sind Personen in dieser Situation deutlich stärker von der Pandemie und den damit einhergehenden Maßnahmen betroffen als andere Personengruppen. Ähnliches trifft auf Menschen mit psychischen Vorerkrankungen oder Vorbelastungen zu. Besonders seit dem 2. und 3. Lockdown leiden Menschen aus dieser Gruppe vermehrt unter den Auswirkungen der Krise. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass auch Menschen in Gesundheitsberufen, besonders in Spitälern und Krankenhäusern, aber auch Alleinerziehende, die Homeschooling und Homeoffice kombinieren müssen, unter bestimmten Umständen als Risikogruppen hinsichtlich der psychosozialen Auswirkungen zu betrachten sind.

Kontaktersatz durch virtuell-vermittelte Kommunikation

Virtuell-vermittelter Kontakt beziehungsweise Kontakt via Telefon kann die Situation des Lockdowns erleichtern. Er kann zu einer Überbrückung einer absehbaren Zeit beitragen und vor allem stabile, bestehende soziale Kontakte in dieser Zeit aufrechterhalten und in manchen günstigen Fällen auch vertiefen. Auch in akuten Notsituationen kann ein Austausch das Ventil sein, welches für eine vorübergehende Entschärfung der Situation sorgt. Gleichzeitig sind Telefon, Chat, Videotelefonie und Co. kein Ersatz der direkten Sozialkontakte. Dies trifft besonders auf Sozialkontakte zu, die erst aufgebaut werden und daher noch nicht so stabil sind, und auf Treffen in Gruppen. Sozialkontakte, die für einen längeren Zeitraum auf den virtuellen Raum beschränkt sind, verlieren im Zeitverlauf zunehmend ihre unterstützende Wirkung.

Dieser Befund erklärt auch, warum viele Jugendliche und junge Erwachsene nach einer ersten Zeit mit vielseitiger Nutzung digitaler Kommunikationsmöglichkeiten im 1. und 2. Lockdown im Frühjahr 2021 ihr Interesse an diesen Kommunikationskanälen verloren und wieder mehr auf reine Textnachrichten zurückgegriffen haben. Dies war bei Schüler:innen und Studierenden auch auf die vielen Stunden in virtueller Lehre und Homeschooling zurückzuführen. Nicht zuletzt ist der Digital Divide im Sinne einer unterschiedlichen Verfügbarkeit von Endgeräten und Internetzugang ein einschränkender Faktor der positiven Auswirkungen digitaler Kommunikation.

Resümee

Neben soziodemografischen Faktoren wie junges oder hohes Alter, geringes Einkommen und eine beengte Wohnsituation entscheiden das soziale Kapital, also die individuelle soziale und familiäre Eingebundenheit einer Person in soziale Netzwerke sowie die psychische Flexibilität und persönliche Resilienz über das Ausmaß von Belastungen und das Befinden in Situationen des Lockdowns. Familiäre und soziale Eingebundenheit sind ein wesentlicher sozialer Rückhalt, der auch in der Situation des Lockdowns wirkt und Menschen vor Gefühlen des Alleinseins oder der Einsamkeit bewahrt.

Psychische Flexibilität wiederum ist die Fähigkeit, sich an eine psychisch-emotional schwierige Situation gut anzupassen und Alternativstrategien entwickeln und umsetzen zu können. Beide Faktoren können dazu beitragen, dass auch vulnerable Personen die Pandemie und damit einhergehende Einschränkungen ohne große nachhaltige Belastungen erleben. Das Fehlen solch protektiver Faktoren führte jedoch auch bei Personen aus nicht explizit vulnerablen Gruppen zu einem mitunter starken Leidensdruck.

Das Fehlen sozialer Netzwerke und geringe Resilienz können die klassischen, soziodemographischen Determinanten guter Gesundheit und guten Wohlbefindens im Einzelfall aushebeln. Trotzdem zeigen die Ergebnisse des Forschungsprojekts eine deutliche Schieflage der Betroffenheit nach sozioökonomischem Status. Besonders ältere Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status in prekären Lebensverhältnisse sind besonders stark von den belastenden Auswirkungen der Pandemie und der Maßnahmen zu ihrer Eindämmung betroffen.

Im weiteren Verlauf der Corona-Pandemie sollten daher besonders junge Menschen in ihrer Möglichkeit zu sicheren Begegnungen trotz Beschränkungen unterstützt werden. Für ältere Menschen sollten mit partizipativen Ansätzen längerfristige Strategien zur Verringerung und Verhinderung von Einsamkeit entwickelt werden, da vulnerable ältere Menschen von Einsamkeit auch unabhängig von der Pandemie betroffen sind.

Besondere Aufmerksamkeit und Unterstützung sollte für vulnerable Gruppen bereitgestellt werden. Dies betrifft besonders Menschen in prekären Lebensverhältnissen, in materiellen Notlagen sowie Personen mit psychischen Erkrankungen, aber auch alleinerziehende Personen und Personen mit Migrationshintergrund. Es wäre wichtig, dass diese Gruppen in die Erarbeitung und Gestaltung fördernder gruppenspezifischen Maßnahmen miteinbezogen werden.