Wöchentlicher Börsenbrief von Josef Obergantschnig 1
(c) FH JOANNEUM / Marion Luttenberger

Wöchentlicher Börsenbrief #28

Dr. Josef Obergantschnig,

Im wöchentlichen Börsenbrief von Josef Obergantschnig, Fachhochschullektor an der FH JOANNEUM und Gründer von ecobono, gibt es das Börsengeschehen pünktlich zum Start in das Wochenende aus erfrischend neuen Blickwinkeln.

Milliardengewinne und historische Verluste

Meine beiden Kinder haben diese Woche Herbstferien und schlafen sich vor der stressigen Schularbeitenzeit im November und Dezember heute noch einmal so richtig aus. Für mich ist das kein Grund, von meiner Morgenroutine abzuweichen. Als ich wie gewohnt meinen ersten Espresso zubereite, schweift mein Blick über den Küchentisch. Hier hat mein Sohn im Teenager-Alter sein „neues“ Handy liegen gelassen. Nach einigen Versuchen mit anderen Marken ist er erstmals Besitzer eines Apple-Smartphones. Das Unternehmen hat in den letzten Jahrzehnten eine unfassbare Entwicklung vollzogen und ist mit einer Marktkapitalisierung von $2,7 Billionen das wertvollste Unternehmen der Welt. Haben Sie sich eigentlich auch schon einmal gefragt, wie viel Apple überhaupt verdient? Der Gigant erwirtschaftet einen Reingewinn von $99,8 Milliarden und ist damit auch das profitabelste Fortune 500 Unternehmen. Im Technologiesektor sind die Gewinnmargen im Vergleich zu anderen Sektoren hoch. Das profitabelste Energieunternehmen ist Exxon Mobile mit einem Gewinn von $55,7 Milliarden. JPMorgan Chase ist mit $37,7 Milliarden der Primus im Finanzsektor und Pfizer mit $31,3 Milliarden im Pharmasektor. Meine Kinder stehen wahrscheinlich, wie viele Teenager, auf Coca-Cola (Gewinn $9,5 Mrd.), McDonald’s ($6,2 Mrd.), Nike ($6 Mrd.) und Netflix ($4,5 Mrd.). Spannenderweise sind das alles Unternehmen, die in ihrem Sektor die größten Gewinne erwirtschaften. Unweigerlich drängt sich mir die Frage auf, ob ich mich bei der Aktienauswahl auf die Vorlieben meiner Kinder fokussieren sollte.

Neues gibt es auch von der Inflationsfront zu vermelden. Die Inflation ist laut einer Schnellschätzung der europäischen Statistikbehörde Eurostat für den Euroraum im Oktober auf 2,9% gesunken. Im Vormonat lag die Inflationsrate noch bei 4,3%. Bei den einzelnen Produktgruppen sind aber deutliche Unterschiede zu verzeichnen. Während die Energiepreise im Vergleich zum Oktober 2022 um 11,1% gesunken sind, sind die Preise für Lebensmittel, Alkohol und Tabak auf Jahresbasis um 7,5% gestiegen. Mit Belgien (-1,7%) und den Niederlanden (-1,0%) weisen bereits zwei Euroländer eine Deflation auf. In Österreich liegt die Inflation mit 4,9% deutlich über jener Deutschlands mit 3%. Auch wenn wir uns noch über dem EZB-Ziel von 2% bewegen, hat sich in den letzten Monaten die Lage doch deutlich entspannt. Finanzmarktteilnehmer:innen sowie auch der IMF gehen laut jüngsten Prognosen von einer weiteren Entspannung aus. Mal schauen, ob EZB-Präsidentin Christine Lagarde oder der Fed-Präsident Jerome Powell, die in ihren letzten Zinssitzungen einmal eine Pause eingelegt haben, das auch so interpretieren werden.

Im Oktober konnten die Aktienmärkte wahrlich kein Kursfeuerwerk zünden. Fest steht aber, dass sich die Abwärtsdynamik deutlich abgeschwächt hat. Fundamental betrachtet sind wir gegenwärtig weder billig noch teuer bewertet. Nachdem heuer die Gewinne nur geringfügig gewachsen sind, zeichnen Marktteilnehmer:innen wieder ein deutlich optimistischeres Zukunftsbild. Für 2024 wird aktuell mit einem Gewinnwachstum von 10% gerechnet. Das geschätzte KGV für den Weltaktienmarkt liegt gegenwärtig knapp unter dem langfristigen Durchschnittswert. Wenig überraschend sind US-Aktien höher bewertet als europäische Unternehmen oder Aktien aus Schwellenländern.

Anleiheninvestor:innen haben wahrlich schwierige Jahre hinter sich. US-Staatsanleihen haben real – also unter Berücksichtigung der Inflation - mehr als 30% an Wert eingebüßt. Zum Vergleich haben die temporären Verluste in den letzten 40 Jahren nie die 10%-Grenze überschritten. Besonders große Kursverluste mussten langlaufende Anleihen hinnehmen. US-Anleihen mit einer Laufzeit von mehr als 20 Jahren verloren seit Jänner 2022 mehr als 40%, europäische Anleihen mit einer Restlaufzeit von mehr als 25 Jahren sogar mehr als 50%. Der Verlust in dieser „sicheren“ Asset-Klasse hat damit das Niveau eines Aktien-Crashs erreicht. Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass damit die Renditen bzw. die Ertragspotenziale für Anleiheninvestor:innen deutlich gestiegen sind. Für Neu-Investor:innen mag das durchaus attraktiv erscheinen, für Alt-Investor:innen ist das vermutlich nur ein schwacher Trost!