Abenteuer Erasmus: Im Paris der Gelbwesten 6
Im Rahmen seines Aufenthalts in Paris lernte Matteo Eichhorn die schönen, aber auch die konfliktreichen Seiten der Stadt kennen. (© Matteo Eichhorn)

Abenteuer Erasmus: im Paris der Gelbwesten

Matteo Eichhorn,

Matteo Eichhorn studiert im zweiten Jahr „Journalismus und Public Relations (PR)“ an der FH JOANNEUM. Während seiner Zeit an einer Pariser Journalismusschule spürte er den Gelbwesten nach. Mit einem Praktikum beim ORF-Korrespondentenbüro erfüllte er sich einen lang gehegten Wunsch.

Die Uhr schlägt sechs Uhr abends am Pariser Ostbahnhof. Mit quietschenden Bremsen fährt auf Bahnsteig 10 mein TGV in die im Art-Déco-Stil geschwungene Eingangshalle ein. Hastig quäle ich mich mit meinen zwei schweren grasgrünen Koffern aus dem Waggon. Ich kann es gar nicht erwarten, die Welt um mich zu entdecken. Alles ist so anders, so verwirrend und so schnell. So viele neue Bilder, so aufregend und so grell.

Am selben Tag, zwölf Stunden früher, in meinem Heimatdorf Mariapfarr am Fuße der Hohen Tauern. Gemeinsam mit meiner Familie warte ich auf eine der wenigen Busverbindungen nach Salzburg, Züge gibt es hier nicht. Umgeben von 15.000 Kühen und nur 20.000 Menschen, wusste ich schon als Kind ganz genau: Wenn ich groß bin, werde ich Journalist. Schon der Umzug nach Graz, um an der FH JOANNEUM „Journalismus und Public Relations (PR)“ zu studieren, war ein Kulturschock. Wie würde es mir dann erst in Paris ergehen? Einer Metropole, in der mehr Menschen leben als in ganz Österreich.

„Coucou Matteo! C'est moi, Valéria!“ Eine Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Meine Gastmutter holt mich am Ostbahnhof ab. Küsschen links, Küsschen rechts. Obwohl wir bis jetzt nur am Telefon miteinander geredet haben, kommt sie mir bald vor wie eine alte Bekannte. Ich ahne, dass sie weit mehr sein wird als meine Vermieterin. Dank ihrer Hilfsbereitschaft und unendlichen Geduld lebe ich mich sofort in Frankreich ein. Ich bin so weit weg von daheim und fühle mich doch schon zu Hause.

Matteo Eichhorn vor einem Radiomikrofon.
Beim französischen Uniradio konnte Matteo Eichhorn seiner journalistischen Leidenschaft freien Lauf lassen. (© Matteo Eichhorn)

Ich nutze die ersten Wochen, um erstmal die Touristenattraktionen abzuklappern. Rauf auf die Türme der Notre Dame, rein in den Louvre und runter in die Katakomben. Ich war zwar vorher schon in Frankreich, doch nie in der Hauptstadt. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Erst als ich vor dem Eiffelturm stehe, realisiere ich: Ich habe mir tatsächlich meinen Traum erfüllt. Verstohlen, damit es meine Gastmutter Valéria nicht sieht, verdrücke ich ein Freudentränchen.

Der Pariser Eiffelturm im Sonnenuntergang.
Der Pariser Eiffelturm im Sonnenuntergang. (© Matteo Eichhorn)

Ehe ich mich versehe, drückt mir meine neue Universität, die ISCPA Paris, ein Mikrofon für Interviews in die Hand. Journalismus lernt man am besten mit viel Praxiserfahrung. Schon die FH JOANNEUM schickte mich in der ersten Woche mit einem journalistischen Bootcamp ins kalte Wasser. Doch das hier ist ein ganz anderes Level. Zwar spreche ich schon gut Französisch, fehlende Orientierung, Wissen und Unsicherheiten in der Sprache machen die ersten Wochen trotzdem zu einer ganz besonderen Herausforderung.

Matteo Eichhorn mit Studienkolleginnen und -kollegen an der Pariser Journalismusschule.
Matteo Eichhorn mit Studienkolleginnen und -kollegen an der Pariser Journalismusschule. (© Matteo Eichhorn)

Das alles hätte ich ohne meine französischen Kolleginnen und Kollegen nicht geschafft. Als einziger Erasmusstudent auf der Uni stoße ich immer auf großes Interesse und finde so schnell Anschluss. Das Arbeiten in Gruppen schweißt uns schnell zusammen. Vor allem das österreichische Landleben scheint sie sehr zu interessieren. Bald bin ich einer von ihnen: Ich spreche Französisch, also bin ich auch ein Franzose.

Matteo Eichhorn hält eine Kamera in der Hand.
Journalismus lernt man am besten in der Praxis: Deshalb bekam Matteo Eichhorn sofort eine Kamera und ein Mikrofon in die Hand gedrückt. (© Matteo Eichhorn)

Gemeinsam erleben wir viele Abenteuer und produzieren Magazine, Radio- und Fernsehsendungen – alles auf Französisch. Dabei stehen uns immer Journalistinnen und Journalisten bekannter französischer Medienunternehmen als Gastvortragende zur Seite. Dazu kommen anspruchsvolle Fächer wie französische Innenpolitik, Grafikdesign und HTML. Während meines Studiums gestalte ich Beiträge zu den verschiedensten Themen: Von der Regierungskrise in Sri Lanka bis zur Eröffnung einer Buchhandlung nebenan, ich treffe Cosplayer auf der ComicCon und Graffitikünstlerinnen und -künstler in der Vorstadt, interviewe Konjunkturforscherinnen und -forscher sowie den EU-Spitzenkandidaten der Front National. Durch das tägliche Bad in der französischen Umgebung wird mein Französisch immer besser, mein Akzent verschwindet fast zur Gänze.

Bild einer Sehenswürdigkeit in Paris.
Zwischen den journalistischen Einsätzen findet Matteo Eichhorn auch Zeit, um die Sehenswürdigkeiten zu besuchen. (© Matteo Eichhorn)

Bleibt zwischen Radio- und Fernsehbeiträgen noch etwas Zeit am Wochenende, nutze ich die Gelegenheit für Ausflüge. Ich schlendere in Straßburg durch den größten Weihnachtsmarkt Europas, koste mich in Lyon durch die französische Küche und fahre in London mit dem Riesenrad. Doch Journalismus ist ein Vierundzwanzigstundenjob, deshalb nutze ich natürlich die Gelegenheit und führe Interviews für einen Beitrag in unserem französischen Uniradio. Auf manchen Abenteuern begleiten mich auch Freundinnen und Freunde aus Österreich. Ich werde es nie vergessen, wie ich gemeinsam mit meinem Schulfreund Andreas in Nantes auf einer überlebensgroßen Elefantenskulptur in den Sonnenuntergang schaukle.

Bild eines zwölf Meter hohen Elefanten, der ein Teil der Maschinen von Nantes ist.
Der zwölf Meter hohe Elefant ist ein Teil der Maschinen von Nantes. (© Matteo Eichhorn)

Das war wohl nur die Ruhe vor dem Sturm: Nur wenige Wochen später eskalieren die Proteste der Gelbwesten, in ganz Frankreich gehen fast 300.000 Menschen auf die Straße. In Paris herrscht Ausnahmezustand, die Champs-Élysées sind lahmgelegt, der Arc de Triomphe ist von Vandalen beschmiert. Ich bin vom ersten Tag an dabei, verfolge die gewalttätigen Ausschreitungen und flüchte mit meinem Mikro vor dem Tränengas. In den französischen und internationalen Medien sowie an meiner Uni gibt es von da an nur das eine Thema. Auch in Österreich war das Interesse groß. Aus journalistischer Sicht war die Krise für mich ein unglaublicher Glücksfall.

In einem Schlüsselmoment der Krise erhalte ich einen Anruf von Eva Twaroch aus dem ORF-Korrespondentenbüro in Paris, mit dem ich schon zuvor bei einer Recherche in Kontakt kam. Sie bitten mich, spontan in der stressigen Situation auszuhelfen und erste Interviews für einen Beitrag in der ZIB 24 zu machen. Dann geht auf einmal alles Schlag auf Schlag: Aus dem Beitrag wird ein Praktikum. Ich kann mein Glück gar nicht fassen: Ich bin meinem Traum auf einmal ganz nahe.

Mit meinen Kollegen Christophe Kohl und Hans Woller verstehe ich mich sofort sehr gut. Im Korrespondentenbüro kann ich den Redaktionsalltag beobachten, aber auch Beiträge selbst gestalten – diesmal auf Deutsch. Durch das Feedback meiner Kollegen kann ich mich schnell verbessern und bekomme immer anspruchsvollere Aufgaben. Besonders stolz bin ich auf meine erste Radioreportage im Ö1-Europajournal über die Gelbwesten in der französischen Provinz. Von der Planung über die Interviews bis hin zum Schreiben und Audioschnitt hatte ich den Beitrag selbstständig realisiert. Es fühlte sich unwirklich an, zum ersten Mal meinen eigenen Namen im Radio zu hören, als wäre ich wieder nur im kleinen Sender meiner französischen Universität.

Die Uhr schlägt sechs Uhr früh am Pariser Ostbahnhof. Mit quietschenden Bremsen fährt mein TGV auf Bahngleis 10 ein. Es geht heim nach Österreich, wie bei meiner Anreise über die Schienen. Mein Herz ist voller Eindrücke und Erfahrungen! Es fühlt sich so an, als hätte ich zwei Jahre in der französischen Hauptstadt gelebt. Obwohl ich eine spannende und schöne Zeit in Paris hatte, freue ich mich auch wieder auf zu Hause, auf die Berge und die Kühe. À bientôt, Paris! Ich komme bald wieder.