Von Kinderbetreuung, Feminismus und Dichtkunst 1
Foto: Zaubermomente

Von Kinderbetreuung, Feminismus und Dichtkunst

Agnes Maier, Natanja C. Pascottini,

Sie ist 24 Jahre alt und hat viele Talente. Ihre Bühnen dafür wechseln sich ab – vom Kreissaal bis zum Poetry-Slam. Absolventin Agnes Maier im Interview über das Studieren als Jungmama, die Erfahrungen als Hebamme und das Reimen über Herzensthemen.

Du wurdest vor deinem Studium Mama. Hatte deine persönliche Erfahrung mit Hebammen etwas mit deiner Studienentscheidung zu tun?
Tatsächlich habe ich schon als Kind in diverse Freundschaftsbücher geschrieben, ich wolle Hebamme werden, nachdem ich die Geburten meiner beiden jüngsten Geschwister zuhause in der Badewanne miterleben durfte. Die Hebamme meiner Mutter und die ganze Thematik haben mich damals schon fasziniert. Selber Mama geworden zu sein, hätten meine Berufswahl dann aber sogar fast verhindert, weil ich mir damals bei meiner Hebamme dachte: Wow, was die leistet! Ich weiß nicht, ob ich das könnte…

Wie hast du Kind und Studium unter einen Hut gebracht?
Ich will nicht lügen, es war nicht leicht. Und ohne Hilfe wäre es bestimmt nicht gegangen. Aber meine Eltern sind immer hinter mir gestanden und auch der Vater meiner Tochter und seine Eltern haben mich unterstützt. Gemeinsamen haben wir die Kinderbetreuung erfolgreich gemeistert. Als Alleinerziehende plagten mich trotzdem phasenweise starke Selbstzweifel, wenn das Kind zum gefühlt hundertsten Mal zurückstecken muss, zugunsten der eigenen Ziele und Träume. Das Tolle am FH-Studium ist aber, dass man die Deadline vor Augen hat. In drei Jahren hat man es geschafft, da heißt es einfach: durchbeißen! Und schließlich war es ja doch eine Investition in unser beider Zukunft.

Was würdest du Mamas raten, die studieren wollen?
Zuerst einmal: Wählt das Studium sorgfältig, denn wenn man es nicht wirklich will, hält man sehr wahrscheinlich nicht durch. Man braucht ein starkes Netzwerk, das man gut darauf vorbereiten muss, dass man Hilfe brauchen wird. Ich weiß natürlich nicht genau, wie es in anderen Studiengängen läuft, aber was ich so rundherum mitbekommen habe, ist jedes FH-Studium zeitintensiv. Schaut euch aktuelle Stundenpläne an und redet zum Beispiel am Tag der offenen Tür mit Studierenden, um einen Eindruck zu gewinnen, was die Anforderungen sind und wie viel Betreuungszeit man für das Kind beziehungsweise die Kinder brauchen wird. Man braucht hier definitiv Verbündete - wenn die abspringen, weil sie sagen so hätten sie sich das nicht vorgestellt, wird es schwierig. Deshalb besser schon im Vorfeld Möglichkeiten suchen und besprechen. Und wie gesagt: Es ist ja nicht für ewig. Und ich kenne einige, die es trotz Kind(ern) geschafft haben.

Wie hast du deine persönliche Zeit an der FH JOANNEUM erlebt?
Sehr intensiv. Ich bin definitiv des Öfteren an meine Grenzen gestoßen. Aber es war auch das, was ich wollte und der Wille war immer stärker. Außerdem habe ich liebe Freundinnen gewonnen, die immer noch mein Leben bereichern und deren Freundschaft mir heute noch sehr wichtig ist.

Viele haben den Traumberuf „Hebamme“ – wie sieht die Realität aus, wie „traumhaft“ ist dein Berufsalltag?
Da muss ich ein bisschen schmunzeln. Tatsächlich ist die erste Reaktion vieler Menschen, wenn sie hören, was ich mache: „Mei schön!“ Als traumhaft würde ich es allerdings nicht bezeichnen. Die geburtshilfliche Gesamtsituation ist in Österreich in meinen Augen weit weg vom Ideal und ich hadere ein bisschen damit, oft nicht so arbeiten zu können, wie ich gerne würde. Es ist ein Beruf mit vielen Grenzerfahrungen und in manchen Nächten tut der Schlafmangel physisch so weh, dass man sich fragt warum man sich das eigentlich antut. Aber dann passiert wieder etwas total Schönes und es fällt einem wieder ein. Ich genieße keinen Nine-to-five-Job zu haben, dass es nie langweilig wird und das Gefühl etwas Sinnvolles zu tun. Man wird in diesem Beruf sehr oft daran erinnert, was im Leben wirklich wichtig ist und das kann ich schätzen. Ich denke mir auch sehr oft, ich könnte es mir leichter machen. Aber so ein Mensch war halt ich noch nie.

Was ist das Beste am Beruf der Hebamme, was ist die größte Herausforderung?
Das Beste für mich – wie oben angedeutet ist, dass es nie langweilig wird und bei so vielen einzigartigen Momenten im Leben anderer Menschen eine wichtige Rolle spielen zu dürfen. Und daran gleich anknüpfend – ich weiß nicht ob es die größte ist, aber definitiv ist eine große Herausforderung: Sich immer wieder bewusst zu machen, dass man täglich mit Menschen arbeitet, die gerade eines der intensivsten Erlebnisse ihres Lebens durchmachen. Ihre Grenzerfahrungen sind mein Arbeitsalltag und da muss man oft gut aufpassen sensibel zu bleiben und nicht zu vergessen, dass diese Zeit für die junge Familie gerade absoluter Ausnahmezustand ist – egal wie normal einem selbst Situationen vorkommen, weil man sie selbst schon zigmal ähnlich erlebt hat.

Welche Glaubenssätze im Bereich Hebammenwesen kannst du nicht mehr hören?
Da gäbe es einige. Aber was ich zum Beispiel echt nicht mehr hören kann: Dass man sich mit einer vaginalen Geburt nur die Scheide kaputt macht und mit einem Kaiserschnitt Schmerzen erspart. Die Schmerzen hat man zwar nicht wenn das Kind geboren wird, dafür aber definitiv hinterher. Die Schwere dieser Operation und die Nachteile für Mutter und Kinder werden in meinen Augen viel zu oft unglaublich unterschätzt. Wir sind froh, dass wir die Option Kaiserschnitt haben – aber das ist der Notausgang und soll es auch bleiben. Wir müssen dringend damit aufhören, viel zu oft willkürlich und unreflektiert, Kinder aus Bäuchen zu schneiden, nur, weil es der einfachere Weg zu sein scheint.

Agnes Maier auf einer Bühne vor einem Mikrofon.
Foto: Agnes Maier
Was unterhält wird auch gemerkt.

Wie bist du zum Poetry-Slam gekommen?
Lustigerweise durch ein Hebammenpraktikum, das ich in Hamburg absolviert habe. Dort habe ich meine erste Lesebühne besucht und mich sofort in das Format Slam verliebt. Zurück in Graz habe ich meinen ersten richtigen Poetry-Slam besucht, beim zweiten Mal selbst mitgemacht und sogar gewonnen. Es hat so viel Spaß gemacht, ich habe gleich gewusst: Das will ich weitermachen.

Wie bist du auf die Idee gekommen Poetry-Slam und Hebammenwesen zu verbinden?
Hebamme zu sein, ist auf jeden Fall Teil meiner Persönlichkeit, das stellt man nicht einfach ab, wenn man aus der Arbeit geht. Genauso wenig kann ich das in meinem „anderen Leben“ einfach außer Acht lassen. Es war also früher oder später nur natürlich für mich, darüber zu schreiben. Durch meinen beruflichen Zugang zu Frauengesundheit und -sexualität kann ich eine ganz besondere Authentizität vermitteln. Mir liegen frauenrelevante Themen am Herzen und die Leute nehmen mir meine Worte ab, weil sie einfach ehrlich sind. Es wäre schade, meine besondere Position nicht zu nutzen, um diese Themen anzusprechen. Also stelle ich mich auf die Bühne und werfe Reime über Geschlechtsteile, den weiblichen Orgasmus und Feminismus in die Menge. Es ist gar nicht so einfach, das Ganze so zu verpacken, dass die Leute nicht die Augen verdrehen und sich denken „nicht schon wieder“, aber ich habe es geschafft, Meisterschaften damit zu gewinnen. Und das macht mich stolz – nicht nur wegen der Titel, die ich mir jetzt an den Hut stecken kann, sondern weil das Publikum entscheidet, wer gewinnt und ich es geschafft habe, die Leute mit diesen Themen zu begeistern. Genau das ist das Ziel: Wichtige Themen so zu verpacken, dass es die Leute mitreißt. Wenn sie sich nicht belehrt sondern unterhalten fühlen, bleibt etwas hängen.

Du möchtest ein Kinderbuch rausbringen. Worum wird es darin gehen?
Das Buch habe ich ursprünglich für meine Tochter geschrieben, noch bevor ich mit Slam angefangen habe. Es ist eine Geschichte in Reimform über eine kleine Maus und den zunächst abstrakten Begriff „Glück“. Die kleine Maus sucht das Glück als etwas physisch Greifbares und findet es schließlich nach erfolgloser Suche zuhause in den Armen ihrer Mutter. Im Grunde ist es eine literarisch aufbereitete Liebeserklärung an mein Kind, aber auch einfach eine schöne kleine Geschichte, die Kindern näherbringen soll, dass man das, was im Leben wirklich glücklich macht, nicht angreifen kann.

Gibt’s noch etwas, das du loswerden willst?
Ich beschäftige mich (so ganz für mich selbst) im Moment mit menschlichen Umgangsformen. Auch im Bereich Geburtshilfe ist das ein heißes Thema, das in den letzten Jahren wenig Beachtung gefunden hat, jetzt aber (auch im Zuge der #metoo-Bewegung) langsam aufzukeimen scheint. Ich hoffe inständig, dass dieser Keim wachsen und im Alltag merklich Früchte tragen wird. Ich habe sowohl in meinem Frauen- als auch in meinem jungen Hebammenleben bereits sehr viel Übergriffiges bis hin zu Gewalterfahrungen selbst erlebt und miterleben müssen. Beim Gedanken an manche Situationen treibt es mir heute noch Tränen in die Augen. Wir haben (oft ganz unbewusst) mit unseren Worten und Taten so viel Macht über andere. Ich wünsche mir mehr Hebammen, Ärztinnen, Ärzte und letztlich Menschen, die einander in Zukunft achtsamer begegnen und sich dessen bewusst werden.