Wöchentlicher Börsenbrief von Josef Obergantschnig 1
(c) FH JOANNEUM / Marion Luttenberger

Wöchentlicher Börsenbrief #46

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Im wöchentlichen Börsenbrief von Josef Obergantschnig, Fachhochschullektor an der FH JOANNEUM und Gründer von ecobono, gibt es das Börsengeschehen pünktlich zum Start in das Wochenende aus erfrischend neuen Blickwinkeln.

Market-Timing und ein Ausklang in der Schihütte

Diese Woche war für mich sehr intensiv. Das Motto lautete: 4 Tage, 4 Landeshauptstädte, 4 Kinos und 4 Keynotes. Für mich bedeutete das, mehr als sieben Stunden vor über 500 Finanzexpert:innen auf der Bühne zu stehen und die Cineplexx-Kinos in Österreich einmal von der anderen Seite kennenzulernen. Insgesamt waren damit auch rund 1.500 Reisekilometer, viele Reisestunden, sehr lange Tage und ein erhöhter Espressokonsum verbunden. Im Fokus stand das Thema Aktien. Ähnlich wie das Cineplexx-Tour-Team in Österreich benötigen Investor:innen bei einem Aktieninvestment Ausdauer und Durchhaltevermögen.

Als Aktionär:in erlebt man im Laufe der Zeit viele Höhen und Tiefen, gute und schlechte Jahre. In Summe – und das wiederum bestätigen Studien des renommierten Yale-Professors Robert Shiller – wurden Investoren bei entsprechender Behaltedauer in den letzten 150 Jahren belohnt. Bei einer 20-jährigen Behaltedauer gab es keine einzige Periode mit negativen Renditen. Und eines ist klar: Rauf geht es langsamer und gemütlicher, runter meist rasant und schnell.

Als Österreicher:in fühlt man sich unweigerlich an einen Skitag erinnert. Am Morgen geht es mit der Gondel langsam bergauf. Nach dem „Gipfelsturm“ folgt die rasante Abfahrt ins Tal. Ein ständiges Wechselspiel zwischen Gondel und angeschnallten Skiern. Und dann darf natürlich auch der Einkehrschwung am Ende des Skitages in eine Hütte nicht fehlen. Und dieser kostet Geld. Diese Phasen lassen sich auch auf das Leben der Investor:innen übertragen. Zuerst kommt die Ansparphase mit ihren Aufs und Abs. Das Ziel ist ein langfristiger und strategischer Vermögensaufbau, um auch im Rentenalter das Leben in vollen Zügen genießen zu können. Der einzige Unterschied: Beim Skifahren macht die rasante Abfahrt vermutlich mehr Spaß, an der Börse definitiv der langfristige Aufwärtstrend.

Als Fondsmanager habe ich im Laufe meines Berufslebens vermutlich zehntausende Wertpapiertransaktionen getätigt. Es ist mir kein einziges Mal gelungen, eine Aktie zum absoluten Tiefpunkt zu kaufen und zum absoluten Höchststand wieder zu verkaufen. Market Timing – das bewusste Kaufen und Verkaufen nach der subjektiven Markteinschätzung – hat seit jeher einen Reiz. Als Investor:in spürt man das Adrenalin: Liegt man mit seiner Einschätzung richtig oder falsch? Dies wirft die Frage auf, ob diese Strategie langfristig einen großen Beitrag zum Erfolg leistet.

Um das zu verdeutlichen, lade ich Sie, liebe Leserin und lieber Leser, zu einem kleinen Gedankenexperiment ein, basierend auf einer Analyse von T. Rowe Price, die mir kürzlich bei einer Recherche aufgefallen ist. Stellen Sie sich vor, Sie hätten am 31. Dezember 1990 10.000 US-Dollar in amerikanische Aktien (Russell 2500) investiert. Hätten Sie durchgehend investiert, wäre Ihr Depot heute rund 343.000 US-Dollar wert. Aber was, wenn Sie die besten Tage durch Market-Timing verpasst hätten? Das Verpassen der besten fünf Handelstage würde den Investor etwa 118.000 US-Dollar kosten. Bei den besten zehn Tagen reduziert sich der Depotwert um 185.000 US-Dollar und bei den besten 30 Tagen um 287.000 US-Dollar. Der Schluss liegt auf der Hand: In Aktien zu investieren war noch nie das alleinige Erfolgskriterium. Entscheidend war, vor allem an den besten Tagen investiert zu sein, die in der Regel nach einem Abverkauf kommen. Wie viele Investor:innen sind bereit, nach einem rabenschwarzen Börsentag mit verheerenden Verlusten Geld in die Märkte zu investieren? Allen, die auf Market-Timing setzen, rate ich zur Vorsicht. Das Verpassen nur weniger Tage kann dramatische Auswirkungen haben. Um dieses Risiko zu umgehen, gibt es eine einfache Regel: Bleiben Sie durchgängig investiert. Akzeptieren Sie, dass es an den Börsen mal rauf und mal runter geht. Wie heißt es so schön: Die höhere Ertragserwartung erkauft man sich mit der einen oder anderen schlaflosen Nacht. Ich bin jedoch fest überzeugt, dass das bewusste Eingehen von Risiken am Ende zu einem stimmungsvollen Ausklang in einer Skihütte führt.